Deutsch: „Fordere von Neos klare Stellungnahme“

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IKG-Präsident Deutsch(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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IKG-Präsident Deutsch warnt vor der FPÖ, kritisiert den Neos-Geschäftsführer, wirft der Regierung anti-israelische Einseitigkeit vor – und will die Kultusgemeinde öffnen.

Die Presse: Wie ist die Stimmung derzeit für Juden in Wien?

Oskar Deutsch: Im Prinzip in Ordnung, aber ich bin besorgt, was bei den Koalitionsverhandlungen herauskommt.

Warum sind Sie da besorgt?

Es wäre für Österreich und uns Juden nicht gut, wenn die FPÖ an der Macht wäre. Die FPÖ ist durchsetzt mit Rechtsextremen. Viele Leute rund um Parteichef Strache haben ein Problem mit Ausländern und sind zum Teil Antisemiten.

Bei anderen Parteien, der SPÖ etwa, legen Sie nicht so strenge Maßstäbe an wie bei der FPÖ.

Ich reagiere auch auf antisemitische oder verharmlosende Äußerungen von anderen Parteien. Von den Neos etwa erwarte ich eine klare Stellungnahme zu ihrem neuen Geschäftsführer, Feri Thierry, einen ehemaligen Berater der ungarischen Regierung Orbán. Er war auf Twitter nicht in der Lage, sich klar von Ungarns Ex-Diktator Miklós Horthy abzugrenzen. Was ist so schwer daran? Jeder weiß, dass unter Horthys Herrschaft Juden diskriminiert und in den Tod getrieben wurden. (Anm.: Thierry schrieb am 25.9. 2012 auf Twitter: „Horthy ist in der Tat ein kompliziertes Thema, schwierig auf 140 Zeichen abzuhandeln.“)

Wie schätzen Sie die derzeitige Lage in Ungarn ein?

Stellen Sie sich vor, dass in Österreich oder Deutschland beschlossen wird, dass man ab morgen Hakenkreuze ungestraft auf der Straße tragen darf. In Ungarn ist das nach einem Beschluss des Verfassungsgerichtshofs per 1.Mai Realität. (Anm: Das Gericht hob nach der Beschwerde eines Kommunisten, der weiterhin den Roten Stern tragen wollte, das Verbot von Symbolen der Willkürherrschaft auf.)

Es heißt oft, es setzten sich Juden aus Ungarn nach Österreich ab. Ich kenne keine Zahlen. Sind es überhaupt so viele?

Was heißt viele? Nicht jeder Jude, der nach Wien kommt, meldet sich bei der Kultusgemeinde. Letzte Woche war ich bei einer Veranstaltung, an der 100 Juden teilnahmen, die in den vergangen drei Jahren aus Ungarn weggegangen sind.

Erst vor Kurzem hat sich Ungarns Vizepremier, Tibor Navracsics, wieder deutlich von antisemitischen Umtrieben distanziert.

Ja, ja, auch Premier Orbán und Präsident Adler haben sich klar gegen Antisemitismus geäußert. Aber das eine sind Worte, und das andere sind Taten. Wenn in Ungarn Horthy-Denkmäler errichtet werden, dann stimmt etwas nicht. Wenn Leute sich nicht mehr trauen, in die Synagogen zu gehen, dann stimmt etwas nicht.

Zuletzt gab es Berichte, wonach der Antisemitismus in Europa zunimmt. Woran liegt das?

Sicherlich auch an den Wirtschaftsproblemen.

In Schweden?

Ich meinte Griechenland, Frankreich oder auch Ungarn. Schweden ist ein Spezialfall. Da hat der Bürgermeister von Malmö Antisemitismus und Zionismus gleichgestellt, was für jeden Juden ein Wahnsinn ist. Da ist gleich fast die ganze Gemeinde ausgewandert.

Offenbar lädt sich der neue Antisemitismus an der Kritik an Israel auf.

Mich stört nicht die Kritik an Israel als solche, sondern die Einseitigkeit. Es heißt immer nur, Israel solle Siedlungen aufgeben. Dass aber die Palästinenser Israel noch nicht als jüdischen Staat anerkannt haben, spielt keine Rolle. Auch die offizielle österreichische Position ist nicht mehr ausgewogen. Sie geht immer nur in eine Richtung, das zeigte sich bei der Aufnahme der Palästinenser in die Unesco und der Aufwertung ihres Status in der UNO.

Wo sehen Sie die Kultusgemeinde 2050? Welche Rolle sollte sie spielen?

Die Kultusgemeinde ist gut aufgestellt. Wir haben eine Infrastruktur, um die uns Gemeinden in ganz Europa beneiden. Ich würde mich freuen, wenn ich mich zu Antisemitismus nicht mehr äußern müsste. Ich will bei dieser Gelegenheit darauf aufmerksam machen, was die Kultusgemeinde für die Gesellschaft leistet: wie zum Beispiel auf ihre Kulturprogramme bis hin zu Sozialprojekten. Bald wird auch das Wiesenthal-Institut für Holocaust-Forschung ein neues Haus beziehen.

Da gibt es schon eine Einigung?

Es besteht eine mündliche Einigung, die noch schriftlich fixiert werden soll. Das Institut wird am Rabensteig errichtet. Wir haben keine Zeitzeugen mehr. Deswegen ist das Institut so essenziell. Aber mindestens ebenso wichtig ist, dass wir die Kultusgemeinde als Teil der österreichischen Gesellschaft präsentieren. Deshalb findet diesen Sonntag in der Wiener Kultusgemeinde ein Tag der offenen Tür statt. Ich möchte die Schwellenangst und Vorurteile abbauen. Alle Österreicher sind eingeladen, unsere Synagoge, unsere Bräuche und die Menschen kennenzulernen. Wir laden natürlich auch die 7000 Juden ein, die in Wien und Umgebung wohnen und nicht der Kultusgemeinde angehören.

Sie haben 8000 Mitglieder und fast noch mal so viele, die nicht zur Kultusgemeinde zählen? Gibt es jedes Jahr Neuankömmlinge?

Fast gar keine. Wir wünschen uns mehr Zuwanderung. Einfach um sicherzustellen, dass es die Kultusgemeinde im Jahr 2050 noch gibt.

ZUR PERSON

Oskar Deutsch (geboren am 25.April 1963), Geschäftsführer von Alvorada, ist seit Februar 2012 Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde. Am kommenden Sonntag lädt er von elf bis 17Uhr zum Tag der offenen Tür ins Gemeindezentrum in der Seitenstettengasse4, 1010 Wien, ein. Dabei kann der 150 Jahre alte Stadttempel besichtigt werden. Höhepunkt ist ein Kantorenkonzert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2013)

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