Madagaskar: Tristesse im Touristenparadies

(c) EPA (Kim Ludbrook)
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Die Insel im Indischen Ozean ist berühmt für ihre seltene Tierwelt. Doch politische Instabilität hat sie in Armut und Chaos gestürzt. Am Freitag wird ein neuer Präsident gewählt.

Die grau-weiß geringelten Schwänze, die von den Ästen hängen, sehen die Besucher zuerst. Die Touristen aus Europa, die zwischen Granitfelsen des Anja-Reservats im südlichen Hochland Madagaskars wandern, freuen sich, die putzigen Katta- oder Ringelschwanzlemuren endlich zu Gesicht zu bekommen. „Es sind über 600 Tiere, die hier frei leben“, erklärt Touristenführer Adrien Razafimandimby. „Seit 1998, als ich mit ein paar Gemeindemitgliedern das Schutzgebiet gegründet habe, ist das Habitat nicht mehr durch Abholzen und Brandrodung bedroht. Diese Lemuren müssen nicht auswandern, so wie ihre Kollegen im Trickfilm ,Madagascar‘.“

Das Geld, das die Touristen für den Besuch im Anja-Reservat bezahlen, kommt zum größten Teil der Gemeinde zugute. Damit hat sich auch das Leben der Menschen dort deutlich verbessert. Eine Erfolgsstory also? „Eigentlich ja. Trotz der schweren Krise, die Madagaskar seit nunmehr vier Jahren erduldet“, so der Agrarwissenschaftler. Allerdings zeigt er sich erstaunt, dass viele der Europäer, Asiaten und Nordamerikaner, die es zu Lemuren und den zahlreichen anderen Naturattraktionen zieht, kaum etwas über die Situation wissen, die er „Tristesse Malagasy“ nennt.

Die Korruption blüht

Heute, Freitag, finden auf der Insel Präsidentenwahlen statt, bei denen 33 Kandidaten ins Rennen gehen. Der junge Andry Rajoelina, der sich im März 2009 an die Macht putschte, darf nicht mehr antreten. Der Ex-DJ und Ex-Bürgermeister der Hauptstadt hat damals den seit 2002 amtierenden Präsidenten Lalao Ravalomanana mithilfe des Militärs nach Südafrika vertrieben. Seither ist der Inselstaat wirtschaftlich und entwicklungspolitisch um mindestens zehn Jahre zurückgeworfen worden. Die Behörden drangsalieren die Bevölkerung mit Willkür, die Korruption blüht, brutales Vorgehen gegenüber Oppositionellen und mutigen Journalisten ist an der Tagesordnung.

Sieben von zehn Madagassen müssen mit weniger als einem Euro am Tag leben, Mangelernährung lässt die Kindersterblichkeit steigen, tausende Bettler bevölkern die Großstädte, die Kriminalität nimmt bedrohlich zu, immer öfter greifen Leute zur Selbstjustiz. Armut und Lebensmittelknappheit belasten die Bewohner vieler Regionen wie biblische Plagen, auch wenn sie durch politische Misswirtschaft und mangelhafte Infrastruktur verursacht sind. Die jährlich um drei Prozent wachsende Bevölkerung ist zudem natürlichen Widrigkeiten wie Wirbelstürmen und Dürreperioden ausgesetzt.

Interesse an Bodenschätzen

Der Putsch durch Rajoelina wurde im Ausland verurteilt. Geberländer, allen voran die USA und die EU, reduzierten Entwicklungshilfe auf rein humanitäre Hilfe. Nur Frankreich blieb auf Tuchfühlung mit dem neuen, frankophilen Machthaber. Denn die verstärkte Teilhabe an der Ausbeutung von Bodenschätzen wie Erdöl, Gold, Kobalt, Nickel, Graphit und Mineralsande lockte – anders als unter Ravalomanana, der den Einfluss der ehemaligen Kolonialmacht einschränkte. Die Afrikanische Union suspendierte Madagaskar, die South African Development Community (SADC) verhängte Sanktionen. Nun hoffen viele in Madagaskar, dass die Krise mit der Präsidentenwahl ein Ende findet.

Auf dem Rückweg zum Parkeingang ruft Adrien seine Gruppe an einem Busch zusammen. „Wer sieht es zuerst?“ Das minutenlange Suchen im Gestrüpp beweist: Das Chamäleon, auf das Adrien mit einem Stöckchen zeigt, ist ein Meister der Tarnung.

Adrien lacht: „Vielen Madagassen ist es unsympathisch, weil es wegen seiner Tarnfähigkeit und der schwankenden Gangart so sehr an die Politiker erinnert.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2013)

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