Wiens langer Weg auf das Spielbrett

Ein Idyll: Wien in der Darstellung des ''Stadtbahnspiels'' von 1910
Ein Idyll: Wien in der Darstellung des ''Stadtbahnspiels'' von 1910 (c) Wien Museum
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Spieleklassiker wie "Catan" greifen Wiener Lokalkolorit auf. Ein echtes Wiener Kultbrettspiel fehlt aber. Noch.

Kann ein modernes Brettspiel den Charakter einer Stadt einfangen? Die Hektik ihrer Straßen, die Polarität zwischen Zentrum und Vorstadt? Es gibt nur wenige gelungene Beispiele: London etwa, dessen Straßen Ravensburger 1983 in dem Klassiker „Scotland Yard“ ein Denkmal gesetzt hat.

In Wien, wo im Rahmen des Spielefests im Austria Center ab heute drei Tage lang dem Gesellschaftsspiel gehuldigt wird, wird man eine solche Ikone vergeblich suchen, sagt Dagmar de Cassan, Doyenne der Wiener Spielerszene und Leiterin des Österreichischen Spielemuseums, in dem sie mehr als 23.000 Spiele der vergangenen Jahrzehnte archiviert hat. Gerade einmal zwei Dutzend davon tragen die Bundeshauptstadt im Titel – und davon handelt es sich mehrheitlich um öde Werbespiele, etwa „Wien ist anders“, ein 2007 von der Stadt herausgegebenes Quartett, oder das 1989 von den Stadtwerken ersonnene „Energiesparspiel“.

Städtisches Idyll oder Ideal

Spannender wird es (wie immer in Wien), wenn man in die Vergangenheit schaut: Die erste Darstellung Wiens auf einem Spielplan – zusammengetragen vom Wien Museum für die Ausstellung „Spiele der Stadt“ vergangene Saison – findet sich auf einer Skizze des Würfelspiels „Donau-Dampfschifffahrt nach Constantinopel“ 1842. Zur selben Zeit entstanden Tarockspiele mit Stadtansichten (Veduten), in denen sich die Stadt mit Bildern von Bahnhöfen, Plätzen oder dem k.k. Hauptzollamt „nicht in Klischees, sondern als Zentrum für Verkehr, Handel und Kultur“ zeigt.

„Wenn Wien im Spiel dargestellt wurde, hat es kein realistisches Stadtbild gezeigt, sondern epochenabhängige Idealbilder“, sagt Ernst Strouhal, Kulturwissenschaftler an der Angewandten. Wien komme entweder als idyllische, alte Stadt vor – oder als moderne, weltoffene, „beides war sie nie zu dem Extrem“.

Idyll oder Ideal: Diese Darstellungspole Wiens ziehen sich durch die ganze Entwicklung der Gesellschaftsspielkultur: vom „Stadtbahnspiel“ 1910, einer Zelebration der Anbindung der Vororte, bis zu einem Gemeindebau-Bastelspiel, das die SPÖ noch 2010 als Wahlgeschenk austeilte – als der städtische Wohnbau längst vorbei war.

Ein Spiel, in dem Wien – wie viele andere Städte auch – seit seiner Erfindung 1935 regelmäßig vorkommt, ist „Monopoly“ bzw. seine zahlreichen Klone: Ab 1936 erschienen in Wien und der Tschechoslowakei zahlreiche Spielvarianten, in denen an besten Wiener Adressen Eigentum erworben werden konnte: „Business“, „Trust“, „Konjunktur“ oder „Spekulation“ hießen diese Kopien, 1941 kam als Nachfolger des letzteren Titels der österreichische Klassiker „DKT“ auf den Markt.

Dieser ist auch stadthistorisch aufschlussreich – dank wechselnder Adressen auf dem Spielplan lässt sich recht genau rekonstruieren, welche Gegenden in Wien wann wie angesagt waren. In der neusten Version, „Wien-DKT“ (Piatnik), wurde übrigens endlich Wiener Lokalkolorit nachgeholt: Statt ins Gefängnis geht man hier lieber zum Heurigen, um drei Runden auszusetzen.

Auch wenn Wien keine moderne Spielikone sein eigen nennen kann (noch, zumindest – Piatniks Geschichtsstunde „Wien!“ oder das bezaubernde Fin-de-Siècle-Deduktionsspiel „Café Melange“ wären Kandidaten), bringen derzeit mehrere Verlage Klassiker in lokalisierter Variante heraus: Das reicht vom „Wien-Cluedo“, in dem etwa im KHM oder in der UNO-City gemordet werden kann, bis zum „Wien-Catan“. Auch hier bleibt es beim spielerischen Stadtidyll: Statt der Schafe des Grundspiels wird in der Wien-Variante Wein gezüchtet.

TIPP

Spielefest. Von Freitag bis Sonntag ist das Spielefest im Wiener Austria Center täglich von 9–19 Uhr geöffnet. Eintritt: zehn Euro (Karte zählt im Wr. Spielehandel als Fünf-Euro-Gutschein), Kinder im Vorschulalter gratis.

Web:www.spielefest.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2013)

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