Neuer Siemens-Chef rechnet mit Fehlern von Vorgänger ab

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Joe Kaeser resümiert kritisch ein Geschäftsjahr voller Pannen und Personalturbulenzen. Verlässlich, vorsichtig, überlegt: So will er bei der Rendite aufholen.

Berlin. Was macht ein Chef, wenn seine Firma einen großen Kunden arg verärgert hat? Er hört ihm erst einmal in Ruhe zu, um zu wissen, was er will und braucht. Dass ausgerechnet Siemens es nicht schafft, 16 ICE-Züge ohne große Verzögerungen auszuliefern, hat schwer am Image des größten deutschen Technologiekonzerns gekratzt. Kaum im Amt griff der neue Vorstandsvorsitzende Joe Kaeser Anfang August zum Telefon und überraschte seinen Kollegen Rüdiger Grube von der Deutschen Bahn mit der Bitte, sich als Sologast zu einer Vorstandssitzung gesellen zu dürfen. Danach lautete sein schlichtes Fazit des Lieferflops: „Das ist nicht gut gelaufen“, aber der nächste Auftrag mit neuen Zügen „muss ein Erfolg werden“.

Es sind Geschichten wie diese, mit denen Kaeser um neues Vertrauen wirbt, zwischen schweren, soliden Steinpfeilern in der Mosaikhalle, wo schon Hermann von Siemens seine Führungsmannschaft zusammenrief. Im historischen Hauptsitz in Berlin zog er am Mittwoch vor Journalisten aus aller Welt und 80 einfachen Mitarbeitern einen Schlussstrich unter ein chaotisches Geschäftsjahr: Die Anbindung der Offshorewindparks in der Nordsee an das Stromnetz misslang, frühere Prestigeprojekte wurden teuer abgeschrieben, die überzogen optimistischen Renditeziele zweimal korrigiert.

Wohlwollende Börsianer

Das kostete Vorgänger Peter Löscher den Kopf. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion entzog der Aufsichtsrat dem Villacher das Vertrauen und ersetzte ihn durch den bisherigen Finanzvorstand Kaeser. Kurz darauf musste auch Brigitte Ederer als Personalchefin gehen. Die Ära der Österreicher an der Siemens-Spitze ging rasch, schmerzvoll und unwürdig zu Ende.

Die Börse aber begrüßte den Neuen mit Vorschusslorbeeren. In seinen ersten 100 Tagen stieg der Kurs der Aktie stetig an. Dass der Konzern das reduzierte Gewinnziel von vier Mrd. Euro noch leicht übertraf, nahm man in Frankfurt wohlwollend zur Kenntnis. Nur die Sparte Medizintechnik läuft wirklich gut; bei Energie, Industrie und Infrastruktur bleibt Siemens hinter den Möglichkeiten zurück. Enttäuscht zeigten sich die Analysten über den verhaltenen Ausblick (Details siehe Profil).

Auch wenn die vagen Ziele aufgehen, bleibt vom Umsatz deutlich weniger Gewinn übrig als bei den Konkurrenten General Electric, ABB und Philips. Erst im Mai 2014 will der 56-Jährige seine Strategie vorstellen. Bis dahin soll Ruhe einkehren und das harte Sparprogramm zum Abschluss kommen. Aggressive Ziele, die nicht eingehalten werden: An Löschers Seite sah er, wohin das einen Manager führt.

Technik top, aber schwache Planung

Ruhig, besonnen, bescheiden und vorsichtig geplant: Das sei die neue Kultur. „Der Risikoappetit war zu groß, das muss aufhören“, sekundiert der neue Finanzvorstand Ralf Thomas. 700 Mio. Euro kosteten gescheiterte Projekte im Schnitt jährlich in der Löscher-Ära. An der legendären Ingenieurskunst liege es nicht: „Technisch können wir das alles“, meint Betriebswirt Kaeser, aber oft war der Zeitplan zu ehrgeizig: „Wer zu viel zu schnell erreichen will, der stolpert“ – und lässt die Rendite auf der Strecke.

Noch etwas dürfte Löscher schmerzen: Seine Bündelung von Ländern zu Clustern hat sein Nachfolger kurzerhand kassiert – und preist nun seine Tat: Eine teure Hierarchieebene ist weg, man sei nun viel näher am Ländermarkt mit all seinen Eigenheiten und damit am Kunden. 30 Leitländer (darunter Österreich), die zusammen 85 Prozent des Umsatzes erzielen, steuern die kleineren Märkte mit und berichten direkt an den Vorstand. Kaeser gibt aber auch eigene Fehler in der Kommunikation zu: An einem Sonntag im Oktober ging die Meldung hinaus, 15.000 Stellen würden abgebaut. Gemeint war aber nur das schon fast abgeschlossene Sparprogramm, dem kein neues folgen soll.

All das dürfte nicht reichen, um so rentabel wie die Konkurrenz zu werden. Welche Strategie plant Kaeser? Er zügelt Spekulationen, ganze Sparten würden abgestoßen: „Etwas abgeben, nur weil es schlecht läuft, ist keine unternehmerische Leistung.“ Man müsse Dinge selbst in Ordnung bringen. Aber wenn das nicht geht, werde man rasch handeln und nicht lange taktieren. Anders als früher – das schwingt immer mit.

SIEMENS – DIE ZAHLEN

Im Geschäftsjahr 2012/13 (bis inklusive September) erzielte Siemens einen Umsatz von 76Mrd. Euro (minus ein Prozent). Der Gewinn lag bei 4,2 Mrd. (Vorjahr: 4,6 Mrd.). Der Gewinn pro Aktie soll sich bei stagnierenden Umsätzen um 15Prozent erhöhen (Analysten erwarteten plus 30Prozent). Die Umsatzrendite von 7,5 Prozent (Konkurrent GE: 15 Prozent) soll um ein bis zwei Prozentpunkte steigen. Die Dividende bleibt mit drei Euro je Aktie gleich; um bis zu vier Mrd. Euro will Siemens Anteile zurückkaufen. Wohl deshalb stieg der Kurs gestern um 3,8 Prozent (DAX: 0,6 Prozent).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2013)

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