Deutschland: Frauenquote fix, „Goldröcke“ gesucht

Koalition Deutschland, Frauenquote, SPD, CDU
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Koalitionsverhandler von Union und SPD einigen sich auf eine Frauenquote von 30 Prozent in Aufsichtsräten von Großunternehmen ab 2016. Beim Mindestlohn gibt es Bewegung.

Berlin. Eine schwere Geburt: Über viele Jahre ging die deutsche Politik mit der Idee schwanger, das gesellschaftliche Ziel von mehr Frauen an den Schalthebeln der Wirtschaft gesetzlich zu erzwingen. SPD und Grüne forderten die starre Quote, die FDP war dagegen. In Merkels Union tobte ein Kampf zwischen Befürwortern und Gegnern. In der Nacht auf Montag, als die meisten Deutschen schon schliefen, rangen sich die Verhandler für eine Große Koalition zu einem Kompromiss durch: Die fixe Frauenquote kommt für Aufsichtsräte in großen Unternehmen, nicht für deren Vorstände. Sie wird 30 Prozent ab 2016 betragen – weniger als die von der SPD gewünschten 40 Prozent, aber deutlich höher als die 22 Prozent, die DAX-Konzerne heute im Schnitt vorweisen können.

Von der Regelung betroffen sind börsenotierte und mitbestimmungspflichtige Unternehmen ab 2000 Mitarbeitern. Ein gesetzlicher Zwang auch für die Vorstandsetage wäre ein viel massiverer Eingriff in das freie Unternehmertum. Das würde die Gefahr erhöhen, dass eine Fixierung möglichen Klagen vor dem Verfassungsgericht nicht standhält.

Deshalb setzte die Union durch, dass es für Vorstände und obere Managementebenen bei einer Art „Flexi-Quote“ bleibt: Jedes große Unternehmen meldet ab 2015, wie viel bei ihm machbar ist, muss sich dann aber daran halten.

Proteste aus der Wirtschaft

Wirtschaftsvertreter in Verbänden und der CDU laufen Sturm gegen die Einigung. Ihre Argument: Man ziehe ja am gleichen Strang, alle wollten mehr Frauen in Führungspositionen, schon die demografische Entwicklung erfordere das. Aber der Prozess brauche Zeit, für Spitzenjobs müssten Qualifikationen erst aufgebaut und Frauen zu einer entbehrungsreichen Managerkarriere überredet werden. Tatsächlich tun sich vor allem Branchen wie Maschinenbau oder Automobilindustrie, wo Deutschland führend ist, dabei schwer. Bis heute entscheiden sich relativ wenige junge Frauen für technische Berufe, weibliche Ingenieure im Management sind umso rarer.

In so manchen DAX-Konzernen nimmt man die Entscheidung aber gelassen. Weil sie seit Jahren drohte, haben sich Firmen wie Henkel, Deutsche Bank, Beiersdorf oder Allianz längst darauf eingestellt. Anhänger der Quote vermuten meist „Seilschaften“ von Männern, die in ihre exklusiven Klubs keine Frauen vordringen lassen – zulasten der Volkswirtschaft, die ihr Potenzial unausgeschöpft lässt.

Ob ein gesetzlicher Zwang die Unternehmen im Schnitt mehr oder weniger erfolgreich macht, darüber gehen die Studienergebnisse der Ökonomen auseinander. Weibliche Aufsichtsräte sollen mehr Frauen in den operativen Chefsessel heben. Diese Hoffnung hat sich in Ländern wie Norwegen, wo die Quote für Kontrollorgane eingeführt wurde, nicht erfüllt. Unmittelbare Gewinner der neuen Regelung sind jedenfalls „Goldröcke“. So nennen Personalvermittler die nun sehr begehrten, hochqualifizierten Managerinnen in frauenarmen Branchen, die nun Aufsichtsratsposten, Geld und Macht kumulieren können.

Auch an anderen Fronten in den deutschen Koalitionsverhandlungen gibt es Fortschritte, vor allem beim Verteilen neuer sozialer Wohltaten. Das Elterngeld soll künftig auch einen Teilzeit-Wiedereinstieg ins Berufsleben erleichtern. Die Pension von Geringverdienern wird künftig aus Steuermitteln auf 844 Euro aufgestockt.

Irritation über SPD-Öffnung

Eine zögerliche Annäherung scheint es auch bei einem der heikelsten Themen zu geben: dem gesetzlichen Mindestlohn, den die SPD zu einer Glaubensfrage und Bedingung für eine Große Koalition gemacht hat. Aus der Union heißt es schon klar, dass sich der geforderte Wert von 8,50 Euro pro Stunde im Koalitionsvertrag „wiederfinden“ muss. Ein kolportierter Kompromiss: Der Mindestlohn kommt erst 2016, und in Branchen und Regionen, in denen er viele Arbeitsplätze kosten kann, darf eine von Tarifparteien besetzte Kommission Ausnahmen festlegen.

Nach dem SPD-Parteitag in Leipzig gehen die Verhandlungen nun in die heiße Phase. Bis Anfang Dezember sollen sie abgeschlossen sein. Irritiert haben sich viele Unionspolitiker über die Öffnung der Sozialdemokraten zur Linkspartei gezeigt. Die SPD-Parteiführung sieht ihr schwaches Abschneiden bei der Wiederwahl – taktisch geschickt – als Auftrag der Basis, mehr von der Gegenseite zu fordern: „Jetzt müsst ihr liefern, liebe Leute von der Union“, verkündete Parteichef Sigmar Gabriel. Die CDU/CSU kontert mit dem Kräfteverhältnis, das der deutsche Wähler geschaffen hat. Und CSU-Chef Horst Seehofer verteidigt markig den „Markenkern“, den er nicht bereit sei zu opfern.

AUF EINEN BLICK

Eine Frauenquote soll künftig für mehr weibliche Führungskräfte in der deutschen Wirtschaft sorgen. Laut Einigung der schwarz-roten Koalitionsverhandler müssen die Aufsichtsräte von Kapitalgesellschaften mit mehr als 2000 Mitarbeitern ab 2016 zu mindestens 30 Prozent mit Frauen besetzt sein. Derzeit liegt die Quote im Schnitt der DAX-Konzerne bei 22 Prozent. Auch Vorstände sollen weiblicher werden. Dabei dürfen die Unternehmen ihr Ziel selbst festlegen, müssen sich dann aber dazu verpflichten. Wirtschaftsvertreter beklagen die starre Quote, vor allem im Maschinenbau sei sie schwer zu erfüllen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2013)

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