Buch der Woche

Mutter muss ins Altersheim

Maja Haderlap, geboren 1961, erhielt 2021 den Christine Lavant-Preis.
Maja Haderlap, geboren 1961, erhielt 2021 den Christine Lavant-Preis.Foto: Heike Steinweg
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Mira kehrt zurück ins Kärntner Dorf ihrer Kindheit – zu ihrer Mutter. Maja Haderlaps Roman „Nachtfrauen“ ist dort besonders einprägsam, wo die Autorin den Text mit den Mitteln der Lyrikerin gestaltet.

Zwölf Jahre ist es her, dass Maja Haderlap mit ihrem Roman „Engel des Vergessens“ Furore gemacht, den Bachmann-Preis gewonnen und eine neue Ära des Gesprächs zwischen der slowenischen Minderheit und der „deutschen“ Mehrheit in Kärnten eingeläutet hat. Haderlaps eindrückliche Kindheitsgeschichte hat vielen die Augen geöffnet über den langen Schatten des Partisanenkampfes und der Ermordung und Verschleppung „windischer“ Zivilisten im bäuerlichen Grenzgebiet der Karawanken durch die NS-Polizei – und über die Diskriminierung der Kärntner Slowenen in der Zweiten Republik. „Engel des Vergessens“ war der erste Text, den die Lyrikerin auf Deutsch geschrieben hatte, und die allgemeinen Erwartungen an den nächsten Roman wuchsen mit der ­Wartezeit. „Nachtfrauen“ nimmt den Ariadnefaden der Nachkriegserzählung auf und spinnt ihn weiter in die Gegenwart, aber auch zurück in Haderlaps Großmüttergeneration.

Zunächst jedoch ist die Autorin bestrebt, ihren Stoff von der eigenen Biografie abzurücken. Gewiss, auch „Engel des Vergessens“ war als „Roman“ ausgewiesen, aber die Ich-Erzählerin war doch konkret im Lepena-Graben bei Bad Eisenkappel (Železna Kapla) verortet und teilte ihre weiteren Lebensstationen – slowenisches Gymnasium in Klagenfurt, Studium in Wien, Dramaturgie am Stadttheater Klagenfurt – mit ihrer Schöpferin. In „Nachtfrauen“ verschiebt sich die Perspektive von der ersten zur dritten Person: Die Bibliothekarin Mira lebt in Wien und macht sich in ihre Kärntner Heimat auf, um ihre Mutter Anni schonend darauf vorzubereiten, dass sie aus ihrem Haus muss. Miras Cousin und ihr Bruder wollen das Ausgedinge der Mutter abreißen und diese ins Altersheim übersiedeln. Die reale Geografie erfährt eine leichte Verrückung, Eisenkappel heißt hier „Eisenmarkt“, Anni lebt im fiktiven Jaundorf und stammt aus Bela (Vellach). Das Imperfekt lässt die Erzählung abstrakter, nüchterner, weniger unmittelbar erscheinen als das Präsens der Kindheitserinnerung.

Sorge um den Leichenschmaus

Ihren neuen Roman inszeniert Haderlap vor allem anderen als ländlichen Paartanz von Mutter und Tochter, in ritualisierten Figuren der Annäherung und Abstoßung, in denen alte Verletzungen ebenso sichtbar werden wie blitzartige Momente der Erkenntnis. Für Mira ist das Dorf, das sie verlassen hat, beides: virtuelles Refugium und kindlicher Schreckensort. Sie schämt sich für ihr Auf-und-davon-Gehen, doch das Dorf „gehörte zu Miras Gesicht und alterte mit ihr“. Als Kind glaubt sie schuld am Unfalltod ihres Vaters bei der Holzarbeit zu sein, und die Erwachsenen sind ihr keine Hilfe, ja, ihrer Mutter gelingt es nicht, ihren Hass auf das Mädchen ­zu verbergen. Annis katholisches Eiferertum und rigide Moralvorstellungen vertiefen die Entfremdung noch. Heute verkörpert die Mutter für ihre Tochter die – slowenische – Stimme des Dorfes, eine ständige Mahnung, die eigene Herkunft nicht zu vergessen.

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