Abgeklärte Ermittler beim Tod in der Provinz

Einige der schönsten Fälle in Kriminalromanen ereignen sich in ländlichen Idyllen. Eine kleine Auswahl.

Verbrechen bedeutet in der klassischen Kriminalgeschichte oft die Stadt an sich. Das Böse ist bei frühen Großmeistern wie Sir Arthur Conan-Doyle, George Simenon oder Raymond Chandler meist in London, Paris oder Los Angeles zu Hause – Sherlock Holmes, Jules Maigret und Philip Marlowe leben in Metropolen, vor denen uns die Eltern immer gewarnt haben, unter den trüben Lichtern der verdächtigen Großstadt.

Den richtig guten Mord sollte man aber auch auf dem Lande nicht verachten. In den sanften Tälern von England, der vom Meer umspülten Fadesse von Südschweden oder gar in der ondulierten Landschaft des Weinviertels lässt sich ein reizvoller Kontrast zwischen Idyll und Grauen inszenieren. Hier also eine subjektive kleine Auswahl. Der Thriller mit Lokalkolorit – das ist Brutalität.


Dame Agatha Christie (1890–1976), die Domina dieses Fachs, wusste es längst: Provinz ist in. Mit der Dame aus Devon kommt man per Orientexpress zwar auch in ferne Länder – sogar eine Dampferfahrt samt Tod auf dem Nil ist drin –, wo sich Christie häufig und lange aufhielt, aber am schönsten hat es der Leser doch im Süden von England. Christie führt uns bis nach Dartmoor in ihrer engeren Heimat. In solch einer Gegend lebt auch ihre berühmteste Hobbydetektivin, Miss Marple, die in zwölf Romanen und 20 Kurzgeschichten die Hauptrolle spielt: in St.Mary Mead, einer fiktiven Kleinstadt. Zwar reizt es auch, aufmerksam den Hinweisen und logischen Schlüssen der Kriminalfälle zu folgen, viel schöner aber noch ist es, tief in die britische Lebensart einzudringen.


Henning Mankell (*1948) lässt uns das Wesen des einsamen Schweden ergründen.Die Provinzstadt Ystad ist bis vor 20 Jahren außerhalb der Region Schonen unauffällig geblieben, dann hat uns der Autor mit dem grüblerischen Kommissar Kurt Wallander bekannt gemacht. Inzwischen ist der Ort mit 18.000 Einwohnern eine Touristenattraktion.

Wallander lebt im ersten Buch, „Mörder ohne Gesicht“ (1991/93), in der Mariagatan 10, ehe er sich in einem späteren Fall ganz auf das Land zurückzieht, in ein Häuschen am Meer. Das ist ideal für Depressionen. Wenn Wallander nachdenkt, geht er nach Ales stenar. Ganz allein. Die Mörder kommen oft von außen, aus dem Osten, aus Afrika, aber weit stärker als die Ermittlungen bleibt in den zwölf Büchern mit dem sensiblen Polizisten die ständige Midlife-Crisis in stiller Landschaft in Erinnerung.


Peter Robinson (*1950) hat mit seinem DCI Alan Banks die nordenglische Variante dieses Helden geschaffen. Auch Banks trinkt gern, sinniert, hört klassische Musik. Fiktiver Ort der Handlung ist meist die Kleinstadt Eastvale in Yorkshire, wohin sich der Londoner versetzen ließ. Dort spielt bereits der erste von inzwischen mehr als 20 Fällen: „Gallows View“ (1987). Auch hier im kargen Norden wird das Verbrechen gelegentlich importiert. Dann darf Banks, der sonst in Pubs gemütlich sein Bitter trinkt, während er über Lösungen nachdenkt, nach London oder gar nach Kanada reisen.


Alfred Komarek (*1945) braucht nicht einmal diese Abwechslung. In seinen fünf Kriminalromanen (und einem Geschichtenband) gibt es keinen Kommissar als Helden, sondern einen Gendarmen im Weinviertel, im fiktiven Brunndorf im Wiesbachtal, das stark an das Pulkautal an der tschechischen Grenze erinnert. Simon Polt ist inzwischen bereits im Ruhestand, die Polizei hat im letzten Roman von 2009 das Kommando auf dem Land übernommen. Aber zuvor durfte die Gendarmerie Fälle lösen, die recht belastend waren. Denn Polt kennt seine so heimelig wirkende und doch auch raue Umwelt genau.

In den bisherigen Verfilmungen wird er ideal von Erwin Steinhauer gespielt. Auf dem Fahrrad war der eigenwillige, schweigsame und wohl auch melancholische Ermittler seit 1998 („Polt muss weinen“) in den Kellergassen unterwegs. Wie Robinson, Mankell und Christie beherrscht Komarek die Schilderung eines ganz eigenen Milieus auf dem Lande. Das Böse gehört natürlich stets dazu.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2013)

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