Das neue Wiener Wahlrecht

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Bis März wird die Reform des Wahlrechts präsentiert. Nach "Presse am Sonntag"-Informationen verliert die SPÖ leicht zugunsten der Grünen, die FPÖ könnte etwas gebremst werden.

Die Stadtregierung verabschiedet sich kollektiv in die Weihnachtsferien. Davor legt sie den Wienern noch ein „Geschenk“ unter den Christbaum, das im Jänner, spätestens März, offiziell ausgepackt wird. Denn unbemerkt von der Öffentlichkeit wurde in den vergangenen Wochen unter strengster Geheimhaltung ein Großprojekt über die Bühne gebracht, das der härteste Knackpunkt der rot-grünen Koalition war: das neue Wiener Wahlrecht.

Spätestens in drei Monaten wird die Reform präsentiert (wie im Rathaus inoffiziell mehrfach bestätigt wird), darauf folgt (frühestens Ende März) der Beschluss im Landtag. Offiziell heißt es nur: „Die nächste Wahl wird nach einem neuen Wahlrecht abgehalten.“ Der „Presse am Sonntag“ liegen aber bereits die Kernpunkte vor.

Die SPÖ wird es künftig etwas schwerer haben, aber weiterhin mit deutlich unter 50 Prozent eine absolute Mehrheit in Mandaten erreichen können. Die Grünen dürfen sich eine de facto Stärkung von kleineren Parteien auf die Fahnen heften, was in der Praxis vor allem den Grünen zugute kommt – die Neos dürften bei der Wien-Wahl 2015 davon voraussichtlich nicht profitieren. Für die ÖVP ändert sich nichts, für die Freiheitlichen wird es etwas schwieriger. Gleichzeitig werden notwendige Adaptionen (Briefwahl, Vorzugsstimmenhürde etc.) erledigt. „Es ist ein klassischer Kompromiss“, ist aus rot-grünen Kreisen zu hören.

Vereinfacht kann formuliert werden, dass nach dem aktuellen Plan Grundmandate in den bevölkerungsreichen Flächenbezirken etwas teurer werden, man also mehr Wählerstimmen als bisher dafür benötigt. Das schadet der SPÖ, aber auch der FPÖ, lässt im Gegenzug die Grünen unberührt bzw. stärkt diese sogar, nachdem sie in diesen Bezirken sowieso schwächeln und ihre Stimmen hauptsächlich innerhalb und nahe des Gürtels holen. Die ÖVP bleibt davon unberührt.

In den Parteizentralen wurde das neue Wahlrecht anhand der Wien-Wahl 2010 überschlagsmäßig berechnet. Die SPÖ würde demnach ein bis maximal zwei Mandate verlieren, die Grünen eines gewinnen. Falls die SPÖ in diesem Szenario ein zweites Mandat verliert, rechnen sich die Grünen gute Chancen darauf aus. In der SPÖ ist man skeptisch, das zweite Mandat könnte auch an die FPÖ gehen.

Salopp formuliert werden die Grünen auf Kosten der SPÖ etwas gestärkt. Diese hat dafür weiterhin die Möglichkeit auf eine absolute Mandatsmehrheit unter 50 Prozent, allerdings ist sie schwerer zu erreichen als bisher. Und die FPÖ, die ihre Stimmen und Mandate vor allem in den bevölkerungsreichen Flächenbezirken holt, wird voraussichtlich etwas gebremst, zumindest aber nicht gestärkt. Aus rot-grünen Kreisen wird das so kommentiert: „Es ist klar, dass wir kein Wahlrecht machen wollen, das die Opposition, vor allem die FPÖ, deutlich stärkt.“

Warum die SPÖ bisher mit unter 50Prozent der Stimmen die absolute Mandatsmehrheit erreichen konnte, hängt mit den Grundsätzen des Wiener Wahlsystems zusammen. Einerseits gibt es die Grundmandate, deren Berechnung für die SPÖ in den Flächenbezirken durchaus mehrheitsfördernd ist. Andererseits gibt es das zweite, komplexe Ermittlungsverfahren für die Mandate (D'Hondt'sche System), das generell mehrheitsfördernd und weitverbreitet ist. Die SPÖ hatte also zwei mehrheitsfördernde Systeme auf ihrer Seite. Nachdem nur der Stimmenschlüssel für die Grundmandate geändert wird, hat die Häupl-Partei aber die Chance, bei dem zweiten Schritt der Mandatsvergabe deutlich zu punkten.

Ein Beispiel: Würden (rein theoretisch) Piraten, Neos, BZÖ und Team Stronach 2015 mit 4,9 Prozent knapp an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, würden fast 20 Prozent der Stimmen verloren sein. Die SPÖ würde als stärkste Partei bei der Ermittlung der Restmandate überproportional profitieren – ein Wahlergebnis deutlich unter 50 Prozent könnte Häupl locker die absolute (Mandats-)Mehrheit bringen.


Rot-grüner Kompromiss. Diesem Kompromiss ist ein hartes Ringen vorausgegangen. Die Grünen wollten eine Reform unter dem Motto: „Jede Stimme muss gleich viel wert sein.“ Das hätte die SPÖ etwa vier Mandate gekostet, was ein hochrangiger SP-Funktionär so kommentiert: „Diesem Verhandlungsergebnis würde ich niemals zustimmen – andere auch nicht.“ Zusätzlich wurde den Grünen erklärt: Wenn jede Stimme gleich viel wert ist, muss das für alle Bezirke gelten. Damit hätte die SPÖ in den bevölkerungsreichen Bezirken ihre Macht massiv ausgebaut. Oder die Macht der Grünen in ihren Hochburgen hätte deutlich schrumpfen müssen. Die Grünen entschieden sich für den Kompromiss.


Grüner Erklärungsbedarf. Für die Grünen wird es spätestens bei der offiziellen Präsentation des neuen Wahlrechts unangenehm. Ihnen wird vorgeworfen werden, umgefallen zu sein. Immerhin hat Parteichefin Maria Vassilakou vor der Wien-Wahl 2010 sogar einen Notariatsakt mit FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und der damaligen Wiener VP-Chefin Christine Marek unterzeichnet, damit die SPÖ nicht mehr eine absolute Mehrheit unter 50 Prozent der Stimmen erreicht. Ein SPÖ-Grande trocken: „Das ist ihr Problem. Keiner hat sie gezwungen, mit Strache dieses Papier zu unterzeichnen.“

Wobei einige Grüne der Komplexität des Wiener Wahlrechts durchaus etwas abgewinnen können. Beispielsweise erreichten die Grünen 1996 weniger Stimmen als das Liberale Forum, bekamen aber ein Mandat mehr und dazu noch einen Sitz in der Stadtregierung („nicht amtsführender Stadtrat“).

Was noch kommt? Die hohe Hürde für Vorreihungen per Vorzugsstimmen wird deutlich gesenkt. Das Ausländerwahlrecht (für Drittstaatsangehörige) auf Bezirksebene ist verfassungswidrig. In rot-grünen Kreisen ist nun von Lobbying die Rede, damit der Bund es den Ländern zumindest freistellt, ob sie es einführen oder nicht. Und die Kuriosität der „nicht amtsführenden Stadträte“ bleibt erhalten. Für die Abschaffung ist formal der Bund zuständig, die Bundes-ÖVP blockiert aber, weil die Stadt-VP Kontrollrechte verlieren würde. Eine Fünf-Prozent-Hürde auf Bezirksebene (ein SP-Wunsch) hätte man verhindert, heißt es bei den Grünen.

Und: Währing wird mit Hernals zu einem Wahlkreis vereint – als „Signal an die Westbezirke“. Anstelle von fünf Mandaten werden dort künftig sechs vergeben. Dieses zusätzliche Mandat könnte 2015 aber an die ÖVP fallen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2013)

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