Ulrich Seidl: Vom Paradies in die Keller

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Filmregisseur Ulrich Seidl ist heuer mit seiner »Paradies«-Trilogie so viel gereist wie noch nie. Ein Gespräch über Zensur, Tiere und darüber, was der Mensch im Keller tut.

Sie haben Ihre „Paradies“-Trilogie weltweit auf Festivals und zu internationalen Kinostarts begleitet. Drei Filme statt einen: War heuer die größte Ochsentour Ihrer Karriere?

Ulrich Seidl: 2013 war das Jahr, in dem ich so viel gereist bin wie noch nie in meinem Leben: So viele Festivals, das will ich gar nicht alles aufzählen.

Welche waren denn die interessantesten?

Ich verbinde diese Reisen schon mit „privaten“ Interessen. Es wäre mir zu wenig, nur für eine Publikumsdiskussion dorthin zu fahren oder um Journalistenfragen zu beantworten. Insofern waren die interessantesten Orte für mich in Armenien, Georgien, St. Petersburg, Hongkong und Island.

Und in Island findet man dann auch Zeit, sich die Geysire anzuschauen?

Das muss man eben planen. Bei einer Einladung hat man bestimmte Pflichten und Wünsche zu berücksichtigen und muss es sich so einteilen, dass daneben Zeit bleibt. Kiew muss ich auch noch erwähnen: Dort lief eine Retrospektive aller meiner Filme. Das hat mich besonders gefreut, denn mein Film „Import/Export“ wurde beim Erscheinen in der Ukraine nicht einmal beachtet, obwohl er zur Hälfte dort spielt. Das hat mich damals eigenartig berührt. Aber jetzt gab es die Retrospektive und eine Ausstellung zu den „Paradies“-Filmen. An den meisten Destinationen habe ich auch eine Masterclass gehalten.

Erzählen Sie da über Ihre Filme?

Das ist sehr unterschiedlich. Manchmal dauert so eine Masterclass nur zwei, drei Stunden. In Dänemark etwa wollten sie aber, dass ich für zwei Tage komme und vor Filmstudenten und Leuten aus der Branche über meine Methode rede. Das ist meistens sehr gut, denn inzwischen gibt es ja eine andere Generation junger Filmemacher, für die mein Werk ziemlich vorbildhaft ist – und zwar überall, vor allem im Osten und den nordischen Ländern.

Sie haben aber auch Fans unter renommierten Filmemachern: Der Spanier Pedro Almodóvar etwa hat gerade eine Liste seiner Lieblingsfilme 2013 publiziert, mit „Paradies: Glaube“ und „Paradies: Liebe“ auf den Plätzen drei und vier. Und John Waters hat ja jeden Seidl-Film, der in den USA veröffentlicht wird, auf seiner Top-Ten-Liste, mit enthusiastischen Kommentaren wie „Fassbinder died, so God gave us Ulrich Seidl“.

John Waters ist schon ein wahnsinniger Fan. Ich habe ihn heuer auch getroffen, als ich für den „Paradies“-Kinostart in den USA war. Waters betreibt auch ein Filmfestival in seiner Heimatstadt Baltimore, für das ich dann aber leider keine Zeit mehr hatte.

Und wie ist Waters als Person? So, wie man sich das vorstellt?

Ja, auf eine sehr süffisante Weise witzig. Zum Humor kommt bei ihm aber auch die Prägung durch ein sehr katholisches Umfeld: Darum versteht er wohl meine Filme so gut.

Wie sind Ihre „Paradies“-Filme denn in den internationalen Kinos angekommen?

Sehr gut. In Island etwa gibt es nur ein Kino, das auch künstlerische Filme spielt: Da war „Paradies: Liebe“ der erfolgreichste Film, seit es existiert. Das sind allerdings nur vier Jahre – aber immerhin! Das einzige Land, wo die „Paradies“-Trilogie nicht erfolgreich lief, war eigentlich Frankreich.

Woran, glauben Sie, liegt das?

Da kann ich nur mutmaßen: dass es die Franzosen nicht so gern direkt serviert bekommen, sondern eine gewisse Ästhetik brauchen. Es muss ein bisschen schön sein, auch schön anzugreifen – das sind die Körper, die in meinen Filmen vorkommen, natürlich nicht.

Dem französischen Geschmack entspricht wohl eher das Kino von Michael Haneke.

Ja, Haneke ist in Frankreich höchst erfolgreich – und ich gar nicht! Es ist wirklich das einzige Land, wo das zutrifft. Das ist auch ein wenig Pech: Es ist schließlich Europas größtes Filmland.

Aber dafür wurden die „Paradies“-Filme sogar in Übersee vertrieben.

Auch nach Japan wurden sie verkauft, und das ist kein leichter Markt, weil es ziemlich strenge Zensur gibt.

Wegen der Nacktheit?

Ja, in der Hinsicht ein höchst heuchlerisches Land. Wenn man in die japanische Gesellschaft hineinschaut, was an Sexualität und Pornografie existiert, da sind wir sozusagen schwach dagegen!

Wie ist es denn in Europa? Würden sich da auch manche Verleiher wünschen, dass Sie bestimmte Szenen herausschneiden?

Der Weltvertrieb hätte natürlich am liebsten die Möglichkeit, quasi von vornherein zu zensurieren. Das Recht kriegt er aber nicht – nur in Absprache. Man muss überlegen und abwägen, ob es Sinn hat. Bisher kam noch nichts, bei dem ich zugestimmt hätte.

Haben Sie 2013 viele neue Filme gesehen?

Wenig. Ich hoffe, dass die Phase nach diesem Jahr wieder zu Ende geht. Ich habe mich eigentlich entschieden, das Reisen zu beenden und mich anderen Dingen zuzuwenden. Ich brauche quasi neuen Input und die Ruhe und Muße, dem nachzugehen. Ich muss mich auch um mein nächstes Filmprojekt kümmern, über den historischen österreichischen Räuberhauptmann Grasel.

Das ist schon lang ein Wunschstoff von Ihnen – und sicher besonders aufwendig.

Ja, das wird zweifelsohne mein bis dato teuerster Film. Jetzt muss der Stoff erst gefasst werden zur Finanzierung. Das geht nur als internationales Projekt, das erst aufgestellt werden muss, ohne dass man Zugeständnisse macht.

Gäbe es in Österreich überhaupt Schauplätze für die Welt des frühen 19.Jahrhunderts?

Man könnte natürlich ein Dorf nachbauen lassen. Aber Studiobauten interessieren mich nicht. Ich will Schauplätze finden, die man in dem Sinn adaptieren kann: Dabei ist es mir gar nicht so wichtig, historisch in jedem Detail genau und authentisch zu sein, sondern die Zeit von vor 200 Jahren atmosphärisch stimmig einzufangen. Allein in Österreich ist das nicht mehr machbar, das wird schon ein Ostland werden müssen. Es kommen auch viele Tiere vor: Es spielt ja im Milieu der Abdecker, deren Handwerk es war, Tiere zu verwerten. Das ist bei uns schwierig. In so einem Dorf liefen ja alle Tiere draußen frei herum: Gänse, Schweine, Kühe, Schafe... In Rumänien gibt es das noch vereinzelt. Bei uns ist das schwer umzusetzen: Man braucht für jedes Tier einen Tiertrainer und eine Erlaubnis vom Tierarzt...

Um Tierquälerei auszuschließen?

Das ist ein weiter Begriff. Und so wahnsinnig heuchlerisch. Denn bei dem Thema müsste man bei der Massentierhaltung anfangen und den Tieren, die wir tagtäglich essen.

Sind Sie Vegetarier?

Nein, aber ich weiß um die Lage und esse sehr wenig Fleisch. Und ich denke mir schon: Diese ganzen Bemühungen um Tiere – müsste man da nicht anderswo anfangen? Aber das ist akzeptiert und tabuisiert. Man darf so etwas auch nicht zeigen, denn das würde die Leute aufschrecken. Aber es gehört doch zum Leben des Menschen: Tiere werden getötet.

Ihr Film „Tierische Liebe“ hat ja viele verstört, auch wenn es da um ganz andere Aspekte der Beziehung zum Tier geht.

Aber was ist verstörend daran? Dass man das, was stattfindet, was ich zeige, nicht wahrhaben will. Aber es findet statt. Auch hier ist der Schritt von der Tierliebe zum Nützen und Ausnützen des Tieres ein ganz kleiner. Da wird man beschämt. Aber letztlich fängt diese ganze Frage anderswo an: Wie werden Tiere ausgenutzt? Wie werden sie gehalten und getötet? Das Gefühl dafür ist in unserer Gesellschaft völlig verloren gegangen. Die Bauern haben früher ihre Tiere anders gehalten, sie haben sie gern gehabt, geschont und gut behandelt, weil sie gewusst haben: Das ist unser Leben. Die Tiere erhalten uns. Heute ist es ein Bereich, mit dem man nichts mehr zu tun hat – was dann gemacht wird, ist zum Teil in höchstem Maße verbrecherisch.

Haben Sie selbst Tiere?

Nein. Meine Söhne hätten gern welche, der Kampf ist eine eigene Geschichte: Ich verstehe, dass Kinder Tiere haben wollen, aber in der Stadt ist es nicht möglich, mit ihnen artgerecht umzugehen. Bei „Tierische Liebe“ wurde ein Darsteller krank und musste ins Spital, da habe ich seinen Hund übernommen. Der ist mir geblieben, der Mann wollte nachher den Hund nicht mehr. Da ich gern hinausgehe, war mir das erst keine Belastung. Allmählich wurde es eine: Der Hund musste oft im Auto sitzen, und was mir besonders auf die Nerven ging, waren Auseinandersetzungen mit Hundebesitzern. Der eigene Hund ist ja immer der liebe und brave, so kommt es zum Streit. Und den Hund frei laufen zu lassen, geht nicht mehr: Immer an der Leine und mit Maulkorb, das finde ich schrecklich. Mit dem Hund bin ich letztlich immer um drei Uhr nachts am Donaukanal spazieren gegangen, denn da war sonst kein Mensch.

Sehen Sie Ihre Filme eigentlich als Gegenentwurf zur glatten Bilderwelt, die heute dominiert? Alles muss schön und elegant sein, die Körper perfekt...

Das ist eine verfälschte Medienwirklichkeit. Meine Filmarbeit war immer davon bestimmt, hinter die Oberfläche zu schauen. Mein ureigenster Ansatz war aus einer Erziehung heraus, von der ich mich später zu lösen versucht habe: Ich fand vieles verlogen an dieser kirchlichen und patriarchalischen Erziehung, in der falsche Autoritäten regierten. Weiter gedacht leben wir in einer Gesellschaft, die in höchstem Maße heuchlerisch ist. Mehr denn je. Natürlich ganz anders – überhaupt nicht mehr religiös oder kirchlich bestimmt. In „Paradies: Liebe“ wird die Frage der Schönheit ganz direkt thematisiert. Es ist ja ganz diktatorisch in einer geschönten Welt, wo alle Körper so auszusehen haben. Viele Menschen glauben dann, das sei die Welt. Die schaut aber ganz anders aus.

Ihr Film „Im Keller“ ist so gut wie fertig: Kann man ihn vereinfacht gesagt als Metapher für Ihre Mission sehen? Herauszufinden, was unterhalb der repräsentativen oberirdischen Welt passiert?

Die Grundidee dieses Films liegt lange zurück: Ich habe einmal festgestellt, dass die Kellerräume der meisten Einfamilienhäuser viel großzügiger angelegt sind als die Wohnräumlichkeiten. Und dass Menschen in ihrer Freizeit in den Keller gehen, um zu tun, was sie tun wollen – von Sport und Basteln zur Sauna oder sich zum Trinken treffen. Inzwischen hat der Keller durch Verbrechen eine ganz andere Bedeutung bekommen, die sich in unseren Köpfen eingemeißelt hat und nicht mehr herausgeht. Der Keller war ja immer ein Ort der Dunkelheit und der Angst, von Kindheit an: Folter, Verbrechen, Mord – das ist der Stoff dafür. In meinem Film zeige ich episodisch, was die Menschen im Keller tun.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2013)

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