Im Irak flammt der Bürgerkrieg auf

The mayor's destroyed building is seen in Falluja
The mayor's destroyed building is seen in FallujaREUTERS
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Extremisten profitieren von Syriens Bürgerkrieg sowie von Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten. Es ist die schwerste Krise seit Abzug der US-Truppen.

Kairo/Bagdad. Aus Lautsprechern der eroberten Moscheen dröhnen Kampfparolen, schwarz-weiße al-Qaida-Fahnen flattern auf Gebäuden. Ein halbes Dutzend Polizeiwachen liegt in Schutt und Asche, Armeeposten wurden in Panik evakuiert. Über hundert Jihadisten konnten aus den Gefängnissen entkommen, während ihre schwarz vermummten Gesinnungsgenossen in den Straßen provisorische Sperren errichten.

Seit Mitte der Woche haben al-Qaidas Gotteskrieger mit Ramadi und Fallujah zwei der wichtigsten Städte des Iraks teilweise in ihre Gewalt gebracht. Und obwohl die Zentralregierung in Bagdad eilig Spezialtruppen in die westliche Wüstenprovinz Anbar verlegte, setzten sich die Extremisten am Freitag in weiteren Wohnvierteln fest. Den ganzen Tag nahmen Jagdbomber ihre Stellungen unter Feuer. Die Bodentruppen setzten von den USA gelieferte Hellfire-Raketen in den Straßenschlachten ein, die zur bisher schwersten Staatskrise des Iraks seit dem Abzug der Amerikaner vor zwei Jahren eskalieren könnten.

Denn die al-Qaida-Brigaden des „Islamischen Staates in Irak und Syrien“ (ISIS) haben im letzten Jahr beträchtlichen Zulauf erhalten – vor allem durch den Bürgerkrieg in Syrien und durch die wachsenden Spannungen zwischen schiitischer Mehrheit und sunnitischer Minderheit im Irak. Wie im Norden Syriens wollen die Extremisten nun auch im Westen des Iraks eigene Enklaven etablieren, von denen aus sie in der ganzen Region operieren können.

Und so gerät neben Syrien auch der Nachbar Irak mehr und mehr an den Rand eines neuerlichen Bürgerkriegs. Seit dem Ende der verheerenden Todesjahre 2006 und 2007 hat es im Zweistromland nicht mehr so viele Terrorakte gegeben wie im zurückliegenden Jahr 2013. Nach Angaben der UN-Hilfsmission für den Irak starben insgesamt 7818 Menschen, gut 1000 mehr als im Jahr 2008. Die britische Nichtregierungsorganisation Iraq Body Count dokumentierte für den gleichen Zeitraum sogar 9475 Opfer, verglichen mit 10.130 vor sechs Jahren.

Risse wurden zu Gräben

„Die al-Qaida profitiert von der enormen Unzufriedenheit. Sie greift die irakische Regierung an, indem sie Soldaten und Polizisten, Politiker und Journalisten sowie ganz normale schiitische Bürger tötet“, heißt es in der Schreckensbilanz von Iraq Body Count. Ganze Familien seien in den letzten Monaten massakriert worden, teils zu Hause in ihrer Wohnung oder unterwegs auf Reisen. „Die Risse durch die Gesellschaft sind zu breiten Gräben geworden.“

Ausgelöst wurden die jüngsten Kämpfe, als irakische Soldaten Anfang der Woche in Ramadi das seit einem Jahr existierende sunnitische Protestlager gegen die schiitische Willkürherrschaft mit Waffengewalt räumten. 17 Menschen starben, die anschließenden Kämpfe breiteten sich rasch auch auf das 45 Kilometer entfernte Fallujah aus.

Die Mitverantwortung des Premiers

Iraks Regierungschef Nuri al-Maliki trägt deshalb eine erhebliche Mitverantwortung für die Polarisierung im Land, weil er sich jedem politischen Brückenschlag zum sunnitischen Lager verweigert. Immer wieder lässt er seine Spezialeinheiten gegen unliebsame sunnitische Politiker ausrücken. Kürzlich starben bei einer Kommandoaktion gegen das Haus des prominenten Abgeordneten Ahmed al-Alwani in Ramadi sechs Leibwächter sowie dessen Bruder. 40 sunnitische Parlamentarier legten aus Protest ihr Mandat in der Nationalversammlung nieder.

Für sie ist das Maß voll – ihre Minderheit fühlt sich von der schiitischen Mehrheit seit Langem drangsaliert. Unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung komme es regelmäßig zu wahllosen Massenfestnahmen, nicht nur von Extremisten, auch von unbescholtenen Zivilisten, klagte einer der Scheichs. Die Regierung habe die Lage verschlimmert, weil sie „immer mehr verzweifelte Leute produziert, die zu al-Qaida überlaufen – wegen der konfessionellen Diskriminierung und der nicht endenden Verhaftungen“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2014)

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