Zum Start des zweitägigen Referendums über eine neue Verfassung ging vor einem Gerichtsgebäude in Kairo eine Bombe hoch.
In Ägypten hat Dienstagfrüh eine zweitägige Volksabstimmung über die neue Verfassung begonnen. Der Entwurf beinhaltet mehr Rechte für die Bürger, privilegiert aber auch das ohnehin mächtige Militär, wie Menschenrechtsaktivisten kritisieren. Kurz vor Beginn des Referendums explodierte vor einem Gerichtsgebäude in Kairo eine Bombe, verletzt wurde jedoch niemand.
Seit dem Sturz des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi durch das Militär im vergangenen Juli hat die Zahl der Anschläge in Ägypten zugenommen. Die Volksabstimmung über die neue Verfassung wird nach offiziellen Angaben von 160.000 Polizisten und Soldaten geschützt.
52,7 Millionen wahlberechtigte Bürger sind aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Die Wahllokale sind an beiden Tagen jeweils zwischen 08.00 und 20.00 Uhr (MEZ) geöffnet. Die Ergebnisse sollen innerhalb von 72 Stunden nach Ende des Votums bekanntgemacht werden, hieß es vonseiten der Wahlkommission.
Armee bleibt Staat im Staat
Weniger Religion, mehr Militär, Polizei und Justiz – so könnte das Motto über der neuen Verfassung Ägyptens lauten. 247 Artikel hat das Dokument. Es ist etwas länger als die Vorgängercharta des gestürzten islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi.
Die Armee festigt ihre Position als Staat im Staat. Bei der Ernennung des Verteidigungsministers haben die Generäle künftig das letzte Wort. Der Militärhaushalt bleibt der Finanzaufsicht des Parlaments auch weiterhin entzogen. Militärgerichte dürfen in bestimmten Fällen auch Zivilisten aburteilen. Ein Rat hoher Polizeioffiziere erhält Mitsprache bei allen Gesetzen, die die Sicherheitskräfte betreffen – und kann so in Zukunft jegliche Reformen des Polizeiapparats blockieren. Beamte der Staatssicherheit dürfen nicht vor Zivilgerichte gestellt werden, was ihr Treiben unkontrollierbar macht.
Dagegen ist die Scharia als Quelle des Rechts deutlich weniger betont als in dem Mursi-Text. Die Strafandrohung bei Blasphemie gegenüber dem Propheten Mohammed wurde gestrichen. Parteien „auf religiöser Grundlage“ werden vom politischen Betrieb ausgeschlossen, islamische Rechtsgelehrte bekommen das letzte Wort über die Gesetzgebung entzogen. Die Normenkontrolle liegt allein beim Verfassungsgericht.
Den Bürgern garantiert die neue Verfassung mehr Rechte als zu Mursis Zeiten – den Frauen die Gleichberechtigung, Kindern und vernachlässigten Bevölkerungsgruppen wie den oberägyptischen Nubiern den Schutz des Staates. Die koptisch-christliche und jüdische Minderheit erhalten mehr Autonomie. Die neue Verfassung verbietet Folter und Menschenhandel und deklariert die Versammlungs- und Pressefreiheit. Doch zwischen solchen feierlichen Garantien und der Realität im Land liegen Welten – und daran wird sich auch nach Inkrafttreten des neuen Grundgesetzes nichts ändern.
(APA/dpa/Martin Gehlen)