Ganz Hamburg auf Krawall getrimmt

GERMANY MIGRATION PROTEST
GERMANY MIGRATION PROTESTAPA/EPA/AXEL HEIMKEN
  • Drucken

Linksextreme halten die Hansestadt in Atem. Die Polizei erklärt drei Stadtviertel zur Gefahrenzone. Die autonome Szene zeigt sich gewalttätig wie vor 25 Jahren. Doch hinter der neuen Radikalität steckt Ratlosigkeit.

Berlin. Wer gern einen schwarzen Kapuzenpulli trägt, hat es zurzeit nicht leicht auf Hamburgs Straßen. Aufgebrachte Bürger berichten, wie sie auf dem Weg zum Bäcker oder in die Kneipe mehrmals von Polizisten kontrolliert und gefilzt worden sind. Wer sich beschwert, bekommt einen Platzverweis. Verdächtigt macht die Passanten, dass sie die Alltagsmontur von Autonomen tragen: Schwarz von Kopf bis Fuß. Vor eineinhalb Wochen hat die Polizei St. Pauli, das Schanzenviertel und Teile von Altona zur Gefahrenzone erklärt. Zu diesem „Ausnahmezustand light“ greift sie üblicherweise bei Fußballspielen, um Hooligans in Schach zu halten. Zwölf Quadratkilometer für längere Zeit, das gab es noch nie. Zwar hat man das Areal mittlerweile enger definiert, eine Ausweitung ist aber jederzeit wieder möglich. Die US-Botschaft warnt Amerikaner vor Reisen in die Hansestadt und dem Betreten der „Zone“, in der man mit Randalen und Radau rechnet.

Gewalt statt Folklore

Lange Jahre haben sich die Linksradikalen in ihrer Hochburg mit „gemäßigter Militanz“ begnügt. Brennende Mülleimer zum 1. Mai, Beulen in teure Autos: Die rabiate Systemkritik hatte sich zur lokaltypischen Folklore abgeschliffen. Doch seit dem 21.Dezember zeigt die Szene wieder Zähne. Bei einer Demo mit 7000 Teilnehmern prallten etwa 4700 gewaltbereite Chaoten auf gut 3000 Einsatzkräfte. Mit Pflastersteinen, Böllern und Knüppeln gingen die Autonomen auf die verhasste Staatsmacht los. Es entlud sich eine Gewalt wie zuletzt in den Achtzigerjahren, beim Kampf um die besetzten Häuser in der Hafenstraße. Die Bilanz: 170 verletzte Ordnungshüter. Angaben zu verletzten Demonstranten schwanken zwischen zwei (laut Polizei) und 500 (laut Veranstaltern). Seitdem bleibt der Kessel am Köcheln. Die Steine fliegen weiter, gegen Behördenfenster, Einsatzwagen und die Kiefer von Polizisten.

Woher die Wut? Ein Anlass findet sich immer, hier waren es derer drei. Im Oktober lehnte der SPD-regierte Senat es ab, einer Gruppe von Lampedusa-Flüchtlingen, die in einer Kirche Zuflucht gefunden hatten, kollektiv Asyl zu gewähren. Die Stadtregierung bestand darauf, jeden Fall einzeln zu prüfen, und verschärfte die Kontrollen – just zu jener Zeit, als vor der Mittelmeerinsel hunderte Afrikaner ertranken. Dann sollten die Esso-Häuser abgerissen werden. Der einsturzgefährdete Wohnblock in St.Pauli, ein Symbol für günstiges Wohnen in begehrter Lage, könnte Eigentumswohnungen weichen.

Linkes Reservat, geschützt vom Staat

Aber gezündet hat der Funke erst dank der „Roten Flora“. Das Kulturzentrum gilt der Szene als Freiraum und Bollwerk des Antikapitalismus. Vor einem Vierteljahrhundert besetzte sie das ehemalige Variététheater. Später verkaufte die Stadt den Zankapfel zum Spottpreis, um ihn loszuwerden. Nun will der Eigentümer seine Immobilie nutzen und droht mit Räumung. Dankbar für die Provokation des Klassenfeinds trommelten die Autonomen ihr letztes Aufgebot zusammen. Sie mobilisierten Leute in ganz Deutschland. Die Mehrzahl der Demonstranten reiste aus Berlin, Leipzig und Dresden an. Nun fürchtet die Exekutive ein Übergreifen der Unruhen auf diese Städte.

Die neu entfesselte Gewalt dient als Befreiungsschlag. Die Linksradikalen fühlen sich bedroht: unterwandert von unpolitischen „Spaßrandalierern“, die nur Polizeiautos umstürzen wollen, nicht aber das System. Und vereinnahmt vom System selbst: Denn in Wahrheit steht die malerisch verlotterte „Flora“ längst unter dem fürsorglichen Schutz des Rechtsstaats. Selbst die CDU will das Reservat erhalten. Gerade der raue Charme des Unangepassten hat die Sternschanze, in deren Mitte sie liegt, zur angesagten Wohngegend für gut situierte Kreative gemacht. Eine schonende Aufwertung von Quartieren, die Touristen in die Stadt lockt: Was können sich Politik und Investoren mehr wünschen? Die härtere Gangart ist ein Versuch, „den Würgegriff der herzlichen Umarmung aufzubrechen“. So steht es in der Kampfschrift „Flora bleibt unverträglich“.

Bullen gelten nicht als Menschen

Wie weit wird die Gewalt gehen? Im „Spiegel“ versichern drei Autonome, dass die Konventionen des Kampfes weiter gelten sollen: Es gehe gegen Sachen, nicht gegen Menschen. Der Verfassungsschutz aber warnt: „Bullenschweine“ seien für diese Kreise nicht unbedingt Menschen, zumal nicht im Einsatzanzug. Ein toter „Robocop“ gälte ihnen demnach zynisch als Sachbeschädigung. Die Polizeigewerkschaft droht: Wenn die Attacken nicht aufhören, nahe die Stunde, in der einer der Ihren in Notwehr von seiner Schusswaffe Gebrauch macht.

Auch in der Politik funktionieren die Reflexe wieder. Für die Linkspartei ist die Polizei an der Eskalation schuld. In der CDU empört man sich über „bürgerkriegsähnliche Attacken“ als „Freizeitvergnügen von Psychopathen“. Zu denken gibt die Gewalt aber auch in Kreisen, die sonst gern Verständnis für die Autonomen zeigen. Ein grüner Lokalpolitiker vergleicht den Schwarzen Block mit „marodierenden SA-Horden“. Und Ted Gaier, Mitgründer der Band Die Goldenen Zitronen, klagt im „Freitag“ über die „militaristische Marzialik“ der Randalierer – mit einem Frauenanteil „wie bei DAX-Konzernen“.

Breit ist der Unmut aber auch über die Gefahrenzone. Im Stadtrat reichen sich Grüne und Liberale, selten genug, die Hände und kritisieren den „unverhältnismäßigen Eingriff in Grundrechte“. Jedenfalls führt die Maßnahme dazu, dass sich viele der 50.000 Hamburger unter Generalverdacht mit den militanten Linken solidarisieren. Und es ist gut möglich, dass die breitflächige Repression den Gewaltbereiten in die Hände spielt. Sie dient ihnen als Kriegserklärung einer Gesellschaft, mit der sie keinen Frieden wollen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.