Ein riesiges Puzzle: Wien modern als Datenbank

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Ein Forschungsprojekt im Belvedere wertet die Kunstberichterstattung der "Neuen Freien Presse" von 1901 bis 1910 aus - eine längst fällige Grundlagenforschung für die österreichische Kunstgeschichte.

Der Selbstmord der bekannten Künstlerwitwe aus Prag. Strategietipps für die kommende Weltausstellung in St. Louis, 1904 – „Welche sind nun die Kunstwerke, die in Nordamerika gekauft werden? Fast ausschließlich solche, deren Künstlername bereits eine Marke darstellen.“ Bis auf die Personen und Ortsnamen scheint sich nicht viel verändert zu haben in gut einem Jahrhundert Zeitungswesen. Die „Neue Freie Presse“ berichtete praktisch täglich über das Kulturleben, „Theater- und Kunstnachrichten“ hieß die Spalte für Meldungen, etwa welche Bilder gerade in der Secessions-Ausstellung verkauft wurden.

Ein Forschungsprojekt des Belvedere, geleitet von Vize-Direktor Alfred Weidinger, macht sich jetzt daran, diesen Informationsschatz für die Kunstgeschichte zu heben. Dass dies noch nicht getan wurde, so Weidinger, stößt immer wieder auf Unverständnis. Geht es immerhin auch um die Kunstberichterstattung über das Wien um 1900, mit dem sich die „Kulturnation“ Österreich heute so gern und stolz identifiziert.

Zwei Kunsthistorikerinnen sitzen mittlerweile, gefördert vom Jubiläumsfonds der Nationalbank, über tausenden Zeitungsausgaben der „Neuen Freien Presse“ von 1901 bis 1910, tippen jedes Wort ab, das in Zusammenhang mit Kunst gelesen werden kann. Ob das jetzt von Kritiker-Star Franz Servaes stammt, von einem der vielen, teils unbekannten Autoren, die sich hinter Abkürzungen verbergen, oder ob es sich nur um eine kurze, anonyme Notiz handelt. Mehr als 1000 Seiten haben die beiden mittlerweile herausgeschrieben – dabei ist man gerade erst mit dem ersten Jahr fertig.

„Wissenschaftliche Notwendigkeit“

Eine ungeheure Menge an Information, „eine wissenschaftliche Notwendigkeit“, so Weidinger. In einer öffentlichen Datenbank soll alles beschlagwortet zugänglich werden. Will man dann wissen, was je über den Streit über die Klimt'schen Universitätsbilder erschienen ist, muss man nicht mehr Stunden auf der Nationalbibliothek oder im Internet verbringen. Sondern wird das in Sekunden einsehen können. Natürlich nur das, was in der „Neuen Freien Presse“ erschienen ist. Andere Tageszeitungen wie das „Wiener Fremdenblatt“ waren zwar nicht weniger, vielleicht sogar manchmal bedeutender für die Kunstberichterstattung. Die „NFP“ aber ist von der ÖNB bereits digitalisiert worden („Anno“) und so leicht zugänglich. Was sich für ein derartiges „Pilotprojekt“, so Weidinger, natürlich anbot.

Aber auch die Qualität der Berichterstattung war für ihn ausschlaggebend: „Die ,Neue Freie Presse‘ hat sehr seriös und gut berichtet. Es gab auch damals Schmierblätter mit furchtbaren Rezensionen.“ Auf die Bedeutung dieser Quelle aufmerksam wurde Weidinger durch die verstorbene Klimt-Expertin der Albertina, Alice Strobl, sie habe immer wieder aus Berichten der „NFP“ zitiert. Von ihr hat Weidinger auch die Zeitungsausschnitte geerbt.

Viele neue „Puzzlesteine“ ergeben sich aus der Durchsicht. Durch nur einen Nebensatz etwa wird plötzlich bekannt, dass der Klimt-Kollege Eduard Veith in Rumänien ein königliches Schloss und eine Kirche in Bukarest ausgemalt hat. „Kein Mensch weiß das heute mehr!“, schwärmt Weidinger. „Noch kann man dort aber hinfahren und in den Ruinen Reste finden.“ Dass zwei Kunsthistorikerinnen die Abschrift erledigen, garantiert spannende Querverweise und Fußnoten, die dem Archiv beigefügt werden: „So entsteht eigentlich eine kommentierte Ausgabe der Kunstberichterstattung der ,NFP‘.“ Was auch für andere Bereiche ergiebig wäre, vor allem für das Theater, über das damals ausufernd geschrieben wurde. An zweiter Stelle aber kam dann schon die bildende Kunst. Noch vor der Musik.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2014)

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