ÖBB: Zahlentricks auf dem Weg ins Milliardenloch

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Kann es sein, dass die Bahn auf Basis viel zu optimistischer Verkehrsprognosen 60 Milliarden Euro in praktisch nichtexistente Verkehrsachsen investiert? Ein internes ÖBB-Papier zeigt: Es sieht ganz danach aus.

Die Semmeringtunnel-Gegner Hermann Knoflacher und Franz Fally haben gestern einen schwerwiegenden Vorwurf erhoben: Das Milliardenprojekt Semmering-Basistunnel, mit dessen Bau heuer begonnen werden soll, beruhe auf „methodisch falschen und überholten verkehrspolitischen Prognosen“, meinten sie in einer Pressekonferenz. Kurz gesagt: Die Annahmen für die Entwicklung des Personen- und Güterverkehrs auf der Strecke seien viel zu hoch gegriffen, um die Milliardeninvestition zu rechtfertigen.

Schwerwiegend ist dieser Vorwurf vor allem deshalb, weil das ja nicht nur den Semmering-Tunnel betrifft. Auf Basis dieser Prognosen wird der gesamte Österreich-Teil der sogenannten Baltisch-Adriatischen Verkehrsachse samt Koralmtunnel ausgebaut. Insgesamt wird dieses Ausbauprogramm (in das allerdings auch noch der umstrittene Tiroler Brennertunnel eingerechnet ist) aus heutiger Sicht einschließlich Finanzierungskosten fast 60 Milliarden Euro verschlingen. In Wahrheit noch ein paar Milliarden mehr, denn in den derzeitigen Ausbauplänen hat die geplante Hochleistungsstrecke ja noch zwei zusammen mehr als hundert Kilometer lange Lücken zwischen Bruck und Graz in der Steiermark und zwischen Klagenfurt und der italienischen Grenze in Kärnten.

60 Mrd. Euro sind fast die Bundessteuereinnahmen eines ganzen Jahres. Man könnte meinen, dass derart gewaltige Vorhaben auf seriösen Annahmen beruhen. Daran gibt es aber wirklich erhebliche Zweifel.

Am Beispiel Semmering: Da gehen die Pläne davon aus, dass der Personenverkehr bis 2025 um 90 Prozent zunimmt und bis zum Jahr 2055 um insgesamt 149 Prozent auf 17.100 Fahrgäste pro Tag steigt. Für den Güterverkehr wird eine Steigerung des Transportvolumens um 57 Prozent angenommen. Durch die Krise könnte sich das Erreichen dieser Werte allerdings um ein paar Jahre nach hinten verschieben, heißt es.

Eine Verbesserung des Angebots führt klarerweise zu einer Zunahme der Nachfrage, wie man zuletzt an der Weststrecke nach Salzburg beobachten konnte. Ob das allerdings reicht, um die angegebenen astronomischen Wachstumsraten zu generieren, steht wohl eher in den Sternen.

Ganz eindeutig ist die Situation im Güterverkehr. Dort soll nach den vorliegenden Prognosen das Aufkommen bis 2025 um 57 Prozent und bis 2055 um 156 Prozent ansteigen. Nur: In den letzten 15 Jahren war von Wachstum nichts zu sehen. Derzeit liegt das Aufkommen leicht unter dem des Jahres 1999 (!). Das liegt ganz einfach daran, dass der Eisenbahngüterverkehr in ganz Osteuropa – dort müsste ja der größere Teil des Aufkommens für die Baltisch-Adriatische Achse herkommen – teils drastisch schrumpft.

Und der Teil, der noch auf der Schiene Richtung Adria transportiert wird, umgeht Österreich zunehmend über den sogenannten Korridor V, der von Bratislava über Ungarn bis an die nördliche Adria führt. Und zwar so, dass man ÖBB-intern von einer echten „Bedrohung“ für die eigene Güterverkehrstochter RCA spricht. Das ist jetzt keine Verschwörungstheorie von Tunnelgegnern, sondern steht schwarz auf weiß in einem der „Presse“ vorliegenden Papier der ÖBB-Infrastruktur, das vom Beratungsunternehmen Econsult verfasst wurde und den Vermerk „internes Arbeitspapier – vertraulich!“ trägt.

Darin steht detailliert, wie bahninterne Fachleute die Lage wirklich einschätzen. Nämlich so: Die steigende Attraktivität der Umfahrungsrouten (die laut Bahn freilich auch mit dem Fehlen des Semmeringtunnels zu tun hat) führe zu massiven Umleitungen der Güterströme um Österreich. Die „Drehscheibenfunktion“ der bahneigenen österreichischen Güterterminals wandere deshalb ins Ausland (besonders nach Prag und Laibach) ab. Von diesen abgewanderten „Drehscheiben“ aus dringen international agierende Operateure in den österreichischen Markt ein und „ziehen weiter Substrat ab“. Weshalb „ein hoher Teil des künftigen Wachstums im Intermodalverkehr (der kombinierte Verkehr Bahn/Lkw/Schiff auf Containerbasis, Anm.)nicht in Österreich stattfinden wird“. Ein weiteres Zitat: „Der künftig zu verteilende Kuchen wird vermutlich nicht so groß wie erhofft.“ Also beste Voraussetzungen, um die prognostizierten zwei- bis dreistelligen Wachstumsraten zu erzielen, nicht wahr?

Dass daran die ÖBB selbst einen nicht gerade geringen Anteil haben, zeigt dieses Papier auch. Darin erfährt man nämlich, dass die Verluste der RCA-Gütertochter in diesem Markt auf „ungünstige Traktionskostenstruktur“ im Vergleich zu Privatunternehmen, auf „Vertriebsprobleme wegen fehlender Operatorstruktur“ und auf „strukturbedingte Handlungsunfähigkeit der RCA-Terminals in Richtung Markt“ zurückzuführen seien. Und zwar in einem Ausmaß, dass die verbleibenden Marktanteile, besonders in Wien, „so gering“ sind, „dass aufgrund des anhaltenden Trends mit einem Zusammenbruch des Verkehrs zu rechnen ist“. Zumal die Gründe in „passiver Produktpolitik“ liegen, die durch „nationale Marktstrategien“ verursacht worden seien, die „auf einem europäischen Markt nicht mehr wirken“.

Mit anderen Worten: Die ÖBB vergeigen, wie sie selbst in internen Papieren feststellen, gerade gewaltig ihr Frachtgeschäft, während das Infrastrukturministerium 60 Milliarden in Bahnstrecken investiert, deren Kosten-Nutzen-Rechnung unter anderem auf einem explosionsartigen Anstieg der Frachtbeförderung beruht. Ein normales Unternehmen würde solche Investitionen nicht lange überleben.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2014)

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