„12 Years a Slave“: Das amerikanische Herz der Finsternis

12 Years A Slave
12 Years A Slave(c) Tobis
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Der Film von Steve McQueen überzeugt in jeder Hinsicht und wurde für neun Oscars nominiert: darunter bester Film und beste Regie. Eine authentische Geschichte über den Horror der Sklaverei in den USA.

Ein schöner Sommertag im tiefen Süden der USA. Kinder spielen vor einfachen Holzhütten, afroamerikanische Frauen durchqueren eine Wiese, aus der Distanz sieht die Gattin des Plantagenbesitzers von ihrem weißen Herrschaftshaus aus gespannt in Richtung einer alten Zypresse. Die Veränderungen des einfallenden Lichts zeigen, dass Stunden vergehen, bald wird es Abend sein. Eine Idylle, wie in den ruhigeren Szenen des Hollywood-Klassikers „Vom Winde verweht“? Nein. Horror: An einem Ast des riesigen Baumes hängt ein Mann am Strick, nur seine Zehenspitzen berühren den Boden, er kämpft für Stunden um sein Leben. All das geschieht fast ohne Laut, nur die Natur hört man und ein leichtes Rauschen.

Was hat dieser gemarterte Solomon Northup, der von Chiwetel Ejiofor höchst beeindruckend gespielt wird, verbrochen? Er hat sich mit einem Sklaventreiber angelegt, der ihn verletzen wollte, hat ihn niedergerungen. Der Aufseher will ihn lynchen. Nur das Einschreiten eines Vorgesetzten, der nicht will, dass sein Herr eine Arbeitskraft verliert, verhindert den Mord. Aber Northup muss zur Strafe noch elend hängen bleiben.

Gepeitscht, bis die Fleischfetzen fliegen

Diese Szene in „12 Years a Slave“ fasst intensiv den Südstaaten-Terror vor dem US-Bürgerkrieg (1861–1865) zusammen. Regisseur Steve McQueen zelebriert in seinem 135 Minuten langen Meisterwerk mehrfach die totalitäre Gewalt, ruhig, ausführlich, fast kalt. Es wird gepeitscht und geprügelt, bis Blut spritzt, Sklaven werden zur Folter gezwungen, bis Haut und Fleisch am Rücken des Opfers zerfetzt sind. Die Kamera bleibt drauf, grausam lang. Es wird gehängt, als ob dies die natürlichste Sache der Welt wäre: Northup geht durch den Wald, er muss für die Domina-Herrin einkaufen. Die Vögel zwitschern, die Grillen zirpen, da begegnet er einer Gruppe Weißer, die nur kurz ihr Geschäft des Lynchens zweier Entflohener unterbrechen, ihn passieren lassen, ihm „nur“ einen Fußtritt verpassen. Beim Zurückblicken sieht man aus seiner Perspektive, wie die zwei Gehenkten zuckend sterben.

Die Geschichte aber ist wahr, außerdem auch so kontrastreich wie der Film: Northup ist ein freier Mann aus Saratoga Springs in New York State, ein angesehener Bürger mit Frau und kleinen Kindern, der 1841 für ein Engagement als Geiger nach Washington D.C. gelockt wird. Die angeblichen Manager machen ihn betrunken, verkaufen ihn an einen Sklavenhändler. Zur Unterwerfung wund geprügelt, wird Northup per Dampfschiff in den Süden gebracht, nach Louisiana. Sogar sein Name wird ihm genommen, er heißt nun Platt. Zwölf Jahre dauert das Martyrium, bis ein Kanadier (Brad Pitt in einer didaktischen Nebenrolle) es riskiert, das Verbrechen zu klären und ihn befreien zu lassen. Northup aber schreibt seine Geschichte auf. Das Buch wird 1853 ein Bestseller, sein Autor engagiert sich als Kämpfer gegen die Sklaverei. Und wird bald vergessen.

Diese Fallhöhe, die spezielle Perspektive, dass am Anfang der Verlust der Freiheit steht, trägt wesentlich zur Wirkung des Filmes bei. Er wolle leben, nicht nur überleben, sagt der Entführte noch auf dem Schiff, ehe er zur Zwangsarbeit auf Plantagen kommt. Er muss in Folge mehreren Herren dienen. Der erste ist William Ford (Benedict Cumberbatch). Fast menschlich scheint das Verhältnis. Ford erkennt die Talente des Sklaven, die er bei der Arbeit nutzen kann, er schenkt ihm zur Belohnung eine Geige. Aber als es zum Konflikt mit dem Aufseher kommt und Northups Leben gefährdet ist, wird dieser verkauft – er ist eine Ware. Ford sieht kein Unrecht darin. Wenn er seinen Untergebenen aus der Bibel vorliest, dann verdeutlicht er ihnen, dass das Verhältnis von Herr und Knecht durch die Religion legitimiert sei. Schwarze aber sind für ihn an sich keine Menschen.

Die Bibel als Rechtfertigung

Die Bibel benutzt auch Northups zweiter Besitzer, um die Herrschaftsverhältnisse klarzustellen. Michael Fassbender verleiht diesem Edwin Epps dämonische Züge. Er ist ein Sadist, der sexuelle Neigungen auf Kosten der jungen Sklavin Patsey (die großartige Lupita Nyong'o) irre auslebt. Bei Tag lobt er ihren Fleiß, des Nachts vergewaltigt er sie. Begehren und perverse Gewalt treiben diesen Mann an. Eine Szene, in der Patsey nach einem angeblichen Vergehen gefoltert wird, zeigt unbarmherzig die Barbarei dieses Täters und des Systems, das ihn fördert. Auch hier geht es um einen versteckten Machtkampf zwischen den herausragenden Figuren. Fassbender, Ejiofor und Nyong'o spielen sich reif für den Oscar.

McQueens Film mit seinen perfekten, schönen Bildern (Kamera: Sean Bobbitt) und seiner trefflichen Sachlichkeit ist eine Charakterstudie von großer Präzision, mit einem Dutzend fabelhafter Darsteller. Der Soundtrack von Hans Zimmer setzt scheinbar auch auf Understatement, reicht aber von klassischer Kammermusik über Gospel bis zu rassistischen Hetzliedern. Dieses Kunstwerk ist vielschichtig. McQueen legt es nicht darauf an, sentimental zu sein, aber wenn der Protagonist bei der Rückkehr seiner Familie gegenübersteht und um Verzeihung bittet, dann ist diese Szene tatsächlich zum Weinen. Es wird nicht viel gesagt, aber gemeint ist wohl: Verhärtet nicht euer Herz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2014)

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