Eine russische Widerstandskämpferin im Brüssel des Zweiten Weltkriegs, die sich enthaupten ließ, um Geiseln zu retten, ihre jahrelange persönliche Erfahrung als Opfer sexistischen Cybermobbings: Die belgische Schriftstellerin Myriam Leroy hinterfragt in ihren Romanen, was Menschen dazu ermutigt, für andere den eigenen Kopf hinzuhalten und deren Verantwortung wahrzunehmen.
Während eines Lockdowns zu Beginn der Coronapandemie gingen Sie 2020 auf dem Friedhof von Ixelles in Brüssel spazieren und fanden durch Zufall das Grab der Russin Marina Chafroff mit der Inschrift: „Enthauptet“. Sie hatte 1942 in Brüssel einen Anschlag auf einen deutschen Soldaten auf sich genommen und so 60 belgischen Geiseln das Leben gerettet. Sie bezeichnen Chafroff als „absolute Heldin“. Was macht eine absolute Heldin aus?
Myriam Leroy: Mir ging es eigentlich darum, den Heldenbegriff zu dekonstruieren. Ich mag nämlich diese monolithischen Heldenfiguren nicht, die komplett aus politischen Idealen bestehen. Mit Marina wollte ich den Menschen zeigen, der sich hinter dem Image versteckte. Sie hätte eine Legende werden sollen, aber dazu kam es aus verschiedenen Gründen nicht. Man wollte sich bewusst nicht an sie erinnern. Sie war eine Frau, die aus ihren Verhältnissen ausgebrochen ist, sich emanzipiert hat – und dann den Weg der Gewalt gewählt hat. War sie eine Heldin? Schwer zu wissen, wie viel davon Heldentum war, wie viel Unbewusstes, wie viel möglicherweise Wahnsinn. Sie hat sich auf jeden Fall geopfert und auch die Aussicht ihrer beiden Söhne auf ein mehr oder weniger normales Leben.
Ihre Recherchen, die zu Ihrem neuen Buch „Le mystère de la femme sans tête“ führten, ergaben aber, dass fast nichts am Mythos um Marina Chafroff bestätigbar ist: Es ist offen, ob sie den Anschlag wirklich verübt hat, der Deutsche hat überlebt, und was aus den Geiseln wurde, ist ebenfalls unklar.