Mit Holzhammer: „Weh dem, der lügt!“ als Collage in St. Pölten

(c) Landestheater Niederösterreich/Josef Gallauer
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Alexander Charim inszeniert im Landestheater Niederösterreich das Lustspiel von 1838 in einer Kurzfassung, die Grillparzers Gram hinzufügt.

Für Franz Grillparzer war das Lustspiel „Weh dem, der lügt“ schicksalhaft. Es fiel bei der Uraufführung 1838 durch. Der später als Nationaldichter gefeierte Wiener Beamte versagte sich fortan der Öffentlichkeit und schrieb seine Stücke für die Schublade. Ein Grund für den Misserfolg der Komödie dürfte gewesen sein, dass damals im Burgtheater zwei bekannte Tragödiendarsteller die Hauptrolle des gewitzten Küchenjungen Leon sowie seiner weiblichen Ergänzung Edrita spielten. Das kann ein Publikum verunsichern.

Ist aber „Weh dem, der lügt!“ überhaupt eine Komödie? Ist es gar eine Tragödie? Wer weiß, vielleicht hat Grillparzer nur eine meisterhafte Resignation verfasst. Regisseur Alexander Charim negiert jedenfalls die Unterscheidung der Gattungen schlicht, er reflektiert lieber über den Dichter und seine Zeit. Er legt eine auf 85 Minuten gekürzte Fassung des Fünfakters vor, in der vier Darsteller Mehrfachrollen zu spielen haben, reichert das Stück zudem mit depressiven Tagebucheintragungen Grillparzers an, fügt eine Bunkerstimmung erzeugende Passage von Rainald Goetz über Dreck und totale Vernichtung ein, sodass bald klar ist: Hier wird ehrgeizig ein Klassiker dekonstruiert. Das Resultat ist durchwachsen. Die Aufführung sprüht von Ideen, wirkt zugleich pubertär. Alles muss raus, muss gesagt werden, selbst Filigranes wird mit dem Holzhammer bearbeitet.

Das Perverse am Vormärz

Das zeigt sich auch im – gelungenen – Bühnenbild: einem Büro aus dem Biedermeier, in dem elegantes Personal im Bratenrock agiert. Sogar Bischof Gregor (Florentin Groll), der dem rebellierenden Küchenjungen das Lügen verbietet, trägt einen Anzug. Unter dem Grau aber brodelt es. Gregor fühlt sich zu Leon hingezogen. Ehe er zulässt, dass dieser den Neffen Atalus befreit, der als Geisel bei den rheingermanischen Barbaren gehalten wird, küsst er den Buben Leon wild auf den Mund. Zuvor hat er ihn misshandelnd-maßregelnd am Haar gezogen. Sieht so eine Umbruchszeit für fromme Wahrheitssucher aus? Völkerwanderung? Nein. Alles nur Fassade für das Perverse am Vormärz. Grillparzer lebt hier sein Aufbegehren vielschichtig aus, nicht nur als alter Bischof und Küchenjunge, sondern aufdringlich belehrend durch intime Schriften.

Konsequent fallen bald die Kulissen, wird das Mobiliar zertrümmert. Im zweiten Aufzug, in dem der Küchenjunge an den Hof des wilden Grafen kommt, dienen Landschaftsbilder im Stil des 19. Jahrhunderts als Hintergrund. Nun wird um die Befreiung gerungen, auch physisch. Tobias Voigt gibt unter anderem den Recken Galomir. Dieser Bräutigam der Grafentochter Edrita (Swintha Gersthofer) ist einfältig, aber quick im Austeilen: eine Kampfmaschine, zum Slapstick bestens geeignet. Voigt trägt am meisten dazu bei, dass man nicht vergisst, eigentlich eine Komödie vor sich zu haben. Er spielt seine Rolle gut.

Das gilt auch für Florentin Groll, eine graue Eminenz, die hier am besten versteht, den Geist der Grillparzer-Zeit zu vermitteln. Swintha Gersthofer wirkt als Edrita frisch und intensiv. Sie muss wie Pascal Gross auch Diener und Verwalter spielen, das machen beide routiniert. Als Atalus bleibt Gross blass. Ihm hat die Regie wenig Kontur gegeben. Und Leon? Der freche Draufgänger? Jan Walter hat Charme und Witz; seine Leichtigkeit tröstet über Momente der Verlorenheit und sprachliche Eskapaden hinweg. Zählt das eigenwillige Betonen inzwischen zu den Tugenden zeitgenössischer Klassiker-Collagen und wird von der Regie angeordnet? Charims Grillparzer-Variation ist gewöhnungsbedürftig, aber die Inszenierung ist beherzt und zeigt sogar vielversprechende Talente.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.01.2014)

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