Großbritannien: Tories wollen EU-Recht zurückstufen

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Tory-Abgeordnete planen eine Rebellion gegen das neue Einwanderungsgesetz und verlangen weitere Verschärfungen. Das Oberhaus torpediert indessen das EU-Referendum.

London. Eigentlich sollten sich die britischen Konservativen dieser Tage über dramatisch verbesserte Wirtschaftsdaten und deutlich aufgehellte Aussichten für die Parlamentswahlen im Mai 2015 freuen. Stattdessen geht die führende Regierungspartei weiter der Selbstzerfleischung über die künftige Ausrichtung in der Europapolitik nach. Tory-Rebellen wollen ausgerechnet das von der Regierung zum Herzstück erklärte neue Einwanderungsgesetz torpedieren, wenn es am Donnerstag dem Unterhaus zur Abstimmung vorgelegt wird.

Eine Gruppe um den konservativen Abgeordneten Nigel Mills verlangt nicht nur eine Verlängerung der zu Jahresbeginn ausgelaufenen Restriktionen für EU-Arbeitnehmer aus Bulgarien und Rumänien beim Zugang zum britischen Arbeitsmarkt um weitere fünf Jahre. Die Rebellen sind sich zwar bewusst, dass sie damit gegen den EU-Binnenmarkt verstoßen, sie verlangen aber sogar ausdrücklich, dass britisches Recht künftig über der EU-Rechtsprechung stehen muss. „Was uns die Regierung anbietet, bedeutet nichts“, sagt Mills. Er verlangt stattdessen, dass „wir das letzte Wort über Einwanderungsfragen haben“.

Die Zahl der Tory-Rebellen liegt bei fast 80 von 303 Mandataren. Gelingt es ihnen am Donnerstag tatsächlich, ihren Alternativentwurf zur Abstimmung zu bringen, könnte die Regierung vor der Peinlichkeit stehen, das wichtigste innenpolitische Gesetz des Jahres nur mithilfe der oppositionellen Labour Party durchbringen zu können.

Zugleich hat die Tory-Führung aber ein massives Glaubwürdigkeitsproblem, denn sie selbst spricht ständig von der „Rückholung von Kompetenzen“ aus Brüssel nach London und einer Neuverhandlung der Beziehungen zur EU. Als Testfall will nun Justizminister Chris Grayling einen Rechtsstreit ausjudizieren lassen, bei dem ein Gericht unter Berufung auf die Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zwei Klägerinnen recht gegeben hat, die in erster Instanz nach britischem Recht gescheitert sind. Es geht es um zwei Angestellte ausländischer Botschaften, die gegen ihre Arbeitgeber klagen wollten und von britischen Gerichten abgewiesen wurden. Der Fall soll nun klären, ob europäische Menschenrechtsbestimmungen über nationalem britischen Recht stehen oder nicht.

Großbritannien übernahm die EMRK erst Ende der 1990er-Jahre unter der damaligen Labour-Regierung. Die Konservativen wollen nun den Austritt aus der Konvention, auch weil der Menschenrechtsgerichtshof bereits in Asylverfahren gegen Großbritannien entschieden hat.

Eingeschmuggelte Rechte

„Dieses Land hat sich nie einverstanden erklärt, dass wichtige Entscheidungen über unsere Gesellschaft und Staatsordnung von nicht rechenschaftspflichtigen internationalen Gerichten getroffen werden“, sagte Grayling. Nach einer Aufstellung der Konservativen sind durch die EMRK 54 Grundrechte in das britische Rechtssystem gleichsam „eingeschmuggelt“ worden. Dass die Konvention nur indirekt mit der EU zu tun hat, weil sie von allen Mitgliedstaaten übernommen wurde, spielt in der Debatte keine Rolle. Allein das Wort Europa setzt in manchen Kreisen einen pawlowschen Reflex in Gang.

Einen weiteren Rückschlag erlitt die Regierung durch das Oberhaus, das den Gesetzesentwurf über die Abhaltung einer Volksabstimmung über die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens bis 2017 mit Zusätzen an das Unterhaus zurückverwies. Die Chancen, noch vor der nächsten Wahl eine gesetzliche Festlegung auf die umstrittene Volksabstimmung zu treffen, wie es Cameron versprochen hat, sind damit nur noch gering.

Gewinnt Labour die nächsten Wahlen, wäre der Zug für eine Volksabstimmung abgefahren. Der bekannte Europagegner und Tory-Abgeordnete Bill Cash meinte unter Anspielung auf den wohl berühmtesten Sketch der Komikertruppe Monty Python, in dem ein empörter Käufer einen stummen Vogel in die Tierhandlung zurückbringt: „Dieser Papagei ist tot.“

Auf einen Blick

Einwanderungsgesetz. Der britische Premier David Cameron will diese Woche das neue, strengere Einwanderungsgesetz dem Parlament vorlegen. Aber 80 seiner eigenen Abgeordneten geht der Vorschlag nicht weit genug. Sie wollen keine Rücksichtnahme auf EU-Regeln und fordern weitere Verschärfungen. Britisches Recht soll ihrer Ansicht nach über jedem von internationalen Gerichten kontrollierten Recht stehen. Das betrifft auch die Europäische Menschenrechtskonvention.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.01.2014)

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