Hans Neuenfels: "Wir hatten große Krisen!"

INTERVIEW: REGISSEUR HANS NEUENFELS
INTERVIEW: REGISSEUR HANS NEUENFELSAPA/HERBERT NEUBAUER
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Regisseur Hans Neuenfels über das Komödiantische und das Bedrohliche an gefährlichen Liebschaften im Theater – und im Leben mit seiner Frau, Elisabeth Trissenaar.

Im Burgtheater gibt es Finanzturbulenzen. Sie waren fünf Jahre Intendant der Freien Volksbühne in Berlin. Tut Ihnen Burg-Chef Matthias Hartmann leid?

Hans Neuenfels: Ich weiß nicht, worum es geht. Aber wenn mir jemand leidtut, ist es Silvia Stantejsky. Ich kenne sie gut und schätze sie sehr.

Ist ein Theaterdirektor seinem Kaufmann ausgeliefert – oder umgekehrt?

Ein Intendant kann nicht alle finanziellen Vorgänge verfolgen. Da muss er dem Geschäftsführer vertrauen.

Sie inszenieren Heiner Müllers „Quartett“ in der Josefstadt. Das sind die oft gezeigten „Gefährlichen Liebschaften“ nach Choderlos de Laclos, aber für nur zwei Personen. Ihre Frau Elisabeth Trissenaar und Helmuth Lohner spielen. „Quartett“ ist ein galliges, grimmiges, geiles Stück, oder?

Das Verhältnis zu Heiner Müller hat sich seit dem Mauerfall geändert. Vieles, was man damals, 1980, als krass empfunden hat, hat sich heute fast ins Boulevardeske verwandelt. Es gibt von Müller eine gute Bemerkung, er sagte: „Man darf nicht vergessen, dass das Stück auch eine Klamotte ist.“ Man kann es heute komödiantischer, nachdenklicher, freier betrachten.

Das Drama besteht daraus, dass die Marquise de Merteuil und ihr ehemaliger Geliebter, der Vicomte Valmont, ihr eigenes Verhältnis und jenes zu anderen auf eine zynische Weise durchdeklinieren.

Das Stück handelt von der grundsätzlichen Frage, ob die Paarbeziehung in ihrer Eindeutigkeit, wie wir sie im Abendland vertreten – bis dass der Tod uns scheidet –, durchführbar ist. Es ist ein teils zynischer, teils verzweifelter Hohngesang Müllers auf die Sucht nach dem ausschließlichen Du.

Heiner Müllers dritte Ehefrau, Inge, selbst Autorin, hat sich umgebracht. Passiert es bei Künstlern öfter als im gewöhnlichen Leben, dass Paare einander ruinieren?

Ich glaube nicht. Das hängt mit Absolutheit zusammen. Die zwei Leute im Stück hatten einmal eine große Beziehung. Und jetzt ist die Frage, wie sie mit dieser Fixierung umgehen. Was im „Quartett“ stattfindet, ist auch eine quälend lange Konkursverwaltung.

Wie vermeidet man das? Sie sind seit 40Jahren mit Elisabeth Trissenaar zusammen, sie spielt in allen Ihren Inszenierungen. Passen Sie aufeinander auf?

Wir passen beide auf – aufeinander, auf uns, aber ohne dass der jeweils andere es merkt. Das ist die stillschweigende Verabredung. Es gab große Krisen, wir waren auch einmal getrennt. Dann stellten wir fest, dass es für uns existenziell ist, wieder einen Schritt aufeinander zuzugehen. Auch die zwei im Stück entfernen sich zwischendurch voneinander, weil sie nicht mehr die Kraft haben, dem anderen Paroli zu bieten. Der Kampf steht auch gesellschaftlich im Vordergrund. Ein Fehler, weil er verschleißt. Man muss eine andere Art von Verhältnis zueinanderfinden. Meine Frau und ich gehen auf die Probe, dort wird alles versachlicht.

Sie haben einen Sohn. Haben Sie den Kinderwagen geschoben?

Natürlich, da waren aber auch Rotweinflaschen drin. Ein Kinderwagen ist ein Transportmittel. Einmal ist etwas Furchtbares passiert, der Kinderwagen hat sich überschlagen, mein Sohn Benedikt hat das zum Glück überlebt. Er ist heute ein sehr erfolgreicher Kameramann, der gerade mit Stefan Ruzowitzky den Film „Das radikal Böse“ gemacht hat. Mein Enkel Emil ist 19 Jahre alt und hat gerade mit uns sechs Wochen in Altaussee und danach drei Wochen in Griechenland verbracht.

Gibt es einen neuen Zusammenhalt von Alt und Jung? Sie gehören zu den 1968er-Revolutionären, die mit den Nazi-Vätern abrechneten.

Ich weiß nur, dass meine Assistenten große Probleme haben. Wenn man genauer hineinhört, dann kommt so ein gewisser Moment, an dem diese Finsternis ganz direkt hervorkommt, mich erschreckt und an meine Auseinandersetzungen mit meinem Vater erinnern. Mein Enkel und wir, das ist ein Sonderfall, über den ich eher erstaunt war.

Die 1968er-Generation hat das Theater grundlegend verändert. Wie sieht es heute aus? Gibt es noch ästhetische Revolutionen? Gehen Sie gern ins Theater?

Ich gehe sehr gern ins Theater und schaue mir alles an, vor allem in Berlin, wo ich seit 32 Jahren lebe. Ich verstehe, dass die jungen Leute nicht die herkömmlichen Formen übernehmen wollen. Aber wenn ich Strindberg sehe und die Figuren T-Shirts anhaben, dann stimmt das einfach nicht. In Ibsens „Hedda Gabler“ verliert Lövborg sein Manuskript, das darf kein Laptop sein, denn es ist eben unwiederbringlich weg. Nora hat kein Geld. Sie kriegt Taschengeld von ihrem Mann. Ohne Geld kann sie nirgendwohin. Das muss man sehen, und man darf nicht die Zeit, die Geschichte überspringen. Meine Mutter bekam jede Woche Haushaltsgeld von meinem Vater, manchmal vergaß er es. Diese Prozedur fand ich als Junge unerträglich demütigend für meine Mutter, die immerhin bei den Ursulinen das Lateinabitur gemacht hatte.

Sie rauchen, Sie trinken gern Wein. Trotzdem sind Sie 72 Jahre alt geworden. Ist es Glückssache, wie man altert?

Ich weiß es nicht, das wird sich herausstellen. Ich schalte lange Zwischenzeiten ein, in denen ich mich gemächlichen Dingen zuwende, spazieren gehe, wenig rauche und trinke. Aber im Theater gibt es kein Pardon.

Theater ist gesundheitsschädlich?

So ist es. Man muss sich entscheiden. Bei jeder Form von Verwandlung, von Kunst, gibt es keine Ökonomie. Entweder du machst es oder du machst es nicht. Man muss wissen, dass es Folgen haben kann, trotzdem: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es keine Chance gibt, zu entkommen. Die Kunst ist keine vernünftige Lebenswelt. Da vergisst man den Blutdruck.

Steckbrief

1941
Hans Neuenfels wird am 31. 5. in Krefeld geboren.

1972
Nach Aufführungen in Trier, Heidelberg geht Neuenfels nach Frankfurt/Main. Er inszeniert „Medea“, „Iphigenie“, an der Burg „Das Käthchen von Heilbronn“ u. a.

1974
Mit „Troubadour“ in Nürnberg beginnt seine Karriere als Opernregisseur. Es folgt Verdis „Aida“ in Frankfurt, Mozarts „Entführung“.

1986
Bis 1990 ist Neuenfels Intendant der Freien Volksbühne in Berlin.

2003
Seine „Idomeneo“-Inszenierung in Berlin führt zu Kontroversen, weil er Jesus-und Mohammed-Köpfe verwendete.

2014
Nächste Regie in München: „Manon“ mit Anna Netrebko, Jonas Kaufmann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.02.2014)

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