Lewitscharoff-Rede: Zeugt Leihmutterschaft "Halbwesen"?

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Die deutsche Autorin Sibylle Lewitscharoff wettert gegen das "widerwärtige Fortpflanzungsgemurkse" - samt Lebensborn-Vergleich.

Wer bei ihrer Eröffnungsrede auf der Buch Wien war, hat vielleicht noch Sibylle Lewitscharoffs entschlossene, kraftvolle Stimme im Ohr, ihre starke und eigenwillige Persönlichkeit vor Augen. Und erinnert sich vielleicht noch an ihre Tirade gegen den „Monopolisten“ Amazon. Der Tod dieses „widerlichen Klubs“, den sie „hasse“, wie sie sagte, würde es ihr erlauben, „mit einem Jubelruf ins Grab zu sinken“.

„Widerlich“, „verhasst“ – so hat sich die deutsche Schriftstellerin und Büchner-Preisträgerin auch in ihrer jüngsten Rede ausgedrückt, die sie am 2.März im Dresdner Schauspielhaus hielt, mit dem Titel: „Von der Machbarkeit. Die wissenschaftliche Bestimmung über Geburt und Tod“. Lewitscharoff kritisierte darin die „Selbstermächtigung“ des Menschen, wenn es um Anfang und Ende des Lebens geht – und wird nun für einige Formulierungen heftig kritisiert.

„Widerwärtige“ Samenspende

Die künstliche Befruchtung nennt sie einen „abscheulichen“ Vorgang, die Vorstellung einer männlichen Samenspende in einer „Kabine“ sei ihr „widerwärtig“: „Früher habe ich mich über das drastische biblische Onanieverbot gern lustig gemacht, inzwischen erscheint es mir geradezu als weise.“ „Grotesk“ nennt sie die Fälle, „in denen sich Frauen Spermien aus einem Katalog verschaffen“, „absolut grauenerregend...die Praxis, ein Kind durch eine Leihmutter austragen zu lassen“; dies sei eine „wahrhaft vom Teufel ersonnene Art, an ein Kind zu gelangen“.

Lewitscharoff wagte auch einen starken Vergleich: „Mit Verlaub, angesichts dieser Entwicklungen kommen mir die Kopulationsheime, welche die Nationalsozialisten einst eingerichtet haben, um blonde Frauen mit dem Samen von blonden, blauäugigen SS-Männern zu versorgen, fast wie harmlose Übungsspiele vor. Ich übertreibe, das ist klar, übertreibe, weil mir das gegenwärtige Fortpflanzungsgemurkse derart widerwärtig erscheint, dass ich sogar geneigt bin, Kinder, die auf solch abartigen Wegen entstanden sind, als Halbwesen anzusehen.“ In ihren Augen seien sie „zweifelhafte Geschöpfe, halb Mensch, halb künstliches Weißnichtwas“, was „gewiss ungerecht“ sei, „weil es den Kindern etwas anlastet, wofür sie rein gar nichts können. Aber meine Abscheu ist in solchen Fällen stärker als die Vernunft.“

Politiker, Journalisten, Literaturwissenschaftler, Künstler – alle möglichen Persönlichkeiten haben schon auf den wöchentlich abgehaltenen „Dresdner Reden“ gesprochen, meist zu aktuellen Themen. Und auch Sibylle Lewitscharoff hat den Spagat von den ewigen Themen Geburt und Tod zu „heißen“ Themen wie künstlicher Befruchtung, Leihmutterschaft und selbstbestimmtem Lebensende versucht.

Reaktion: „Gefährliches Menschenbild“

Der ist ihr, so der Tenor der Reaktionen, gründlich misslungen. Doch erst Tage später ist ihre Rede weithin bekannt geworden, durch einen offenen Brief des Chefdramaturgen des Dresdner Theaters, Robert Koall. Er wirft der Schriftstellerin ein „menschenverachtendes“, „gefährliches“ Menschenbild vor, das „Verklemmung mit Verachtung paart“ und die Würde der Menschen antaste. Gefährlich an Lewitscharoffs Rede sei „das Tendenziöse, die Stimmungsmache, das tropfenweise verabreichte Gift“. Er sieht sie als Zeichen eines „schleichenden Klimawandels in der Gesellschaft“ in Richtung „Absetzung, Ausgrenzung, Abschottung, Abschaffung“. Für eine Frau, die in der Sprache zuhause sei, gelte „kaum eine Unschuldsvermutung“.

Lewitscharoffs Rede ist, wie ihre Bücher, radikal und ausdrücklich subjektiv. Wie subjektiv, macht gleich der Anfang der Rede deutlich, als sie sich in Bezug auf das Thema Geburt als „Zwangsneurotikerin“ bezeichnet. Lewitscharoff bringt ihren Namen mit dem „Levitenlesen“ in Verbindung, dieses verbindet sie mit Thomas Bernhard: Seit dessen Tod habe es keine solche Suada mehr gegeben, schrieb ein Kritiker über ihren Roman „Apostoloff“, in der eine Tochter mit der bulgarischen Heimat des Vaters abrechnet (wo auch Lewitscharoffs Vater herkommt). Sie liebe die österreichischen Autoren wie Musil, Bernhard oder Handke, sagte Lewitscharoff auf der Buch Wien – „die riskieren was“.

SIBYLLE LEWITSCHAROFF

In Schwaben ist die 1954 geborene Autorin aufgewachsen, die Mutter war Deutsche, der Vater Bulgare, von Beruf Gynäkologe. „Er hat sich aufgehängt, als ich elf Jahre alt war“, sagte Lewitscharoff in ihrer Rede zum Büchner-Preis, den sie 2013 erhielt. Der Bachmann-Preis kam schon 1998, für „Pong“, eine Geschichte über einen Geisteskranken. Über ihre Vatersprache schrieb sie im Roman „Apostoloff“: „Die bulgarische Sprache dünkt uns die abscheulichste der Welt.“

Die Dresdner Rede ist im Internet nachzulesen:

www.staatsschauspiel-dresden.de

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2014)

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