Markus Berger: "Ich wollte nichts riskieren"

FUSSBALL - EL, Lyon vs Odessa
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Der Vertrag des Salzburgers Markus Berger beim ukrainischen Klub Tschernomorez Odessa wurde kürzlich im Einvernehmen aufgelöst. Ein "Presse am Sonntag"-Interview.

Sie haben vor wenigen Tagen Odessa und die Ukraine in einer „Nacht- und Nebelaktion“, wie Sie es selbst bezeichnen, verlassen. Ein Akt der Vorsorge?

Ich hatte ein unsicheres Gefühl, Odessa ist doch nur 400, 500 Kilometer von der Krim entfernt. Alleine das Risiko, einer möglichen Gefahr ausgesetzt zu sein, hat mir schon genügt. Als gemeldet wurde, dass die Russen an der Grenze zur Krim stehen, wusste ich, was ich zu tun hatte. Mit meiner Familie möchte ich nicht einmal ein Prozent riskieren, deswegen haben wir uns dazu entschlossen, das Land zu verlassen – so wie es fünf andere Legionäre meines Klubs auch getan haben.

Die Autofahrt von Odessa nach Salzburg war eine Odyssee. 2000 Kilometer im Auto, Sie waren fast zwei ganze Tage unterwegs.

Da ist auch ein wenig Angst mitgefahren. Mir wurde zugetragen, dass in der Nähe der Grenze Autos überfallen werden. Gott sei Dank hat bei uns alles ohne Komplikationen geklappt.

Was haben Sie in den vergangenen Tagen und Wochen in Odessa beobachtet?

Es gab etliche Demonstrationen, erst vor vier, fünf Tagen fand eine direkt vor meiner Wohnung statt. 8000, 9000 Menschen hatten sich auf der Straße versammelt, teils mit Baseballschlägern bewaffnet. Einfach erschütternd.

Wie wurde die Situation in Ihrem Verein Tschernomorez Odessa aufgearbeitet?

Wir haben viel über die Situation gesprochen. Die Vereinsführung hat uns Spieler darüber aufgeklärt, dass die Sicherheit nicht mehr zu 100 Prozent gegeben ist. Deshalb wurde jedem einzelnen Spieler das Angebot unterbreitet, den Vertrag aufzulösen.

Haben Sie dieses Angebot als großes Entgegenkommen oder als notwendige Selbstverständlichkeit empfunden?

Selbstverständlich ist gar nichts. Jeder Spieler hat einen gewissen Marktwert, kein Verein lässt für gewöhnlich einen Spieler kostenlos gehen. Aber in solch einer kritischen Situation, in der ich mich als Fußballer mitsamt meiner Familie nicht mehr sicher fühle, hat der Verein einen wichtigen und richtigen Schritt gemacht.


Der Verein trägt aber doch erheblichen sportlichen Schaden davon.

Definitiv, fünf Stammspieler haben den Verein verlassen. Wir hatten als Mannschaft großen Erfolg, Tschernomorez ist es erstmals gelungen, die Gruppenphase der Europa League zu überstehen. Sportlich war der Abschied mit viel Wehmut verbunden.

Hatten Sie Ambitionen, Ihren im Dezember auslaufenden Vertrag zu verlängern?

Es gab Gespräche über eine Vertragsverlängerung. Plan des Vereins war es, die Erfolgsmannschaft zusammenzuhalten. Aber dann kam plötzlich alles ganz anders ...

Der Meisterschaftsbetrieb in der Ukraine soll schon kommende Woche wieder aufgenommen werden. Halten Sie dieses Vorhaben für realistisch?

Ich kann mir das nicht vorstellen. Es gibt anscheinend die Überlegung, unter der Woche oder um die Mittagszeit zu spielen, damit möglichst wenig Leute zu den Spielen kommen können. Aber wenn die beiden Klubs von der Krim, Simferopol und Sewastopol, ein Heimspiel austragen sollen: Wer garantiert dann dort die Sicherheit?

Was sagt Ihnen Ihr Gefühl: Wohin führt die politische Reise der Ukraine?

Ich weiß es nicht. Ich glaube, keiner weiß es zum jetzigen Zeitpunkt. Nicht einmal die besten Politiker können derzeit sagen, was passieren wird.

Sie sind durch Ihre Vertragsauflösung vereinslos. Eine belastende Situation?

Nein, nicht wirklich. Ich sondiere mit meinem Berater bereits eingetroffene Angebote. Als vertragsloser Spieler koste ich keine Ablöse und könnte schon morgen bei einem Klub unterschreiben. Das erleichtert die Situation.

Sie haben sich in Portugal und der Ukraine einen guten Ruf erarbeitet. Wäre ein Engagement in Österreich für Sie überhaupt vorstellbar?

Ich halte mir alles offen, kann mir auch einen österreichischen Klub gut vorstellen. Ich will mir alles anhören.

In der U21 sind Sie bis heute Rekordnationalspieler, warten aber bislang vergeblich auf eine Einberufung in das A-Team. Haben Sie die Hoffnung darauf aufgegeben?

Es ist mein ganz großer Traum, den Sprung in das Nationalteam zu schaffen. Ich bin ein erfahrener Spieler, habe in der Europa League mit Odessa auf Topniveau gespielt und bin jetzt mit 29 im besten Fußballer-Alter. Als Patriot möchte ich einfach unbedingt für Österreich spielen. Diesen Traum werde ich immer verfolgen.

Hat Teamchef Marcel Koller schon einmal Kontakt zu Ihnen aufgenommen?

Nein, bislang nicht. Aber ich hoffe bei jeder Einberufung, dass ich dabei bin.

Fühlen Sie sich übergangen?

Ich will nicht drauflos poltern, dass ich meine Chance verdient hätte. Wer einberufen wird, entscheidet einzig und alleine der Teamchef. Alles, was ich tun kann, ist meine Leistung abzuliefern. Dass die ukrainische Liga hierzulande nicht wirklich im Fokus steht, hat mir aber sicher nicht in die Hände gespielt.

Punktejagd ausgesetzt

Liga-Betrieb soll am 15. März starten
Die ukrainische Fußball-Liga nimmt am 15. März wieder ihren Spielbetrieb auf. Ursprünglich war der Start der Meisterschaft für den 28. Februar vorgesehen, aufgrund der politischen Unruhen im Land aber ausgesetzt worden. Die ukrainische Nationalmannschaft hatte ihr Länderspiel am Mittwoch gegen die USA (2:0) auf Zypern ausgetragen.

Steckbrief

Markus Berger wurde am 21. Januar 1985 in Salzburg geboren.

Auslandserfahrung
Der Innenverteidiger spielte in der Jugend unter anderem für den VfB Stuttgart und Eintracht Frankfurt. Nach drei Jahren in Ried feierte er in Portugal (Academica Coimbra) und der Ukraine Erfolge. Mit Tschernomorez Odessa verständigte sich Berger aufgrund der aktuellen Lage in der Ukraine auf eine vorzeitige Vertragsauflösung.

Nationalteam
Berger ist mit 34 Einsätzen Rekordhalter in der U21. Er hofft auf eine baldige A-Team-Einberufung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2014)

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