Castorfs Apokalypse im Burgtheater

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Kritik. "Die Krönung Richards III." von Hans Henny Jahnn als Abgesang auf die Beatniks, als Satire über die Burg-Krise und als grimmig-amüsantes Spektakel über eine Welt ohne Gott. Phänomenal: Martin Wuttke als Kommunenhäuptling.

Auf der Internetplattform Tinder können sich ältere Damen junge Buben aufreißen. Königin Elisabeth in Hans Henny Jahnns „Die Krönung Richards III.“, seit Mittwoch in Frank Castorfs Regie im Burgtheater zu sehen, verfährt rüde mit ihren Lustknaben: Wer plaudert, seiner Mama erzählt, dass er sich mit La Reine vergnügt hat, wird kastriert, wahre Liebe lebt gefährlich, Giftpillen sind stets bei der Hand. Da hilft nur die Flucht: „Ich will beten“, stottert ein junger Mann, bevor er wegrennt...

Hans H. Jahnn (1894–1959), ein Dichter, der alle Strömungen seiner Zeit der Weltkriege und europäischen Verwerfungen mit ihrem heftigen Widerhall in der Kunst repräsentiert hat – Surrealismus, Expressionismus, Realismus, Untergangsvisionen –, wird von Castorf in allen Farben theatralisch belichtet.

Sechs Stunden dauerte die Premiere, viele flohen, zieht man die Leute vom Haus, Schauspieler und ihre Angehörigen ab, kann man schwerlich von einem Erfolg sprechen. Castorf ist – außerhalb seiner Berliner Volksbühne-Community – eher ein Festival-Regisseur; oft war in den letzten Jahren Wien der Try-out für seine Berliner Produktionen. Irritationen haben mit der Länge seiner Performances zu tun, aber auch mit dem strapaziösen Duktus. Castorf bietet altmodisches Bildungstheater: Er ist ein Erzieher in Politik und Ästhetik, hier mit Elementen, Zitaten von Bataille, Artaud, Canetti, Marx, Heiner Müller. Besucher müssen aufpassen, sie werden reich belohnt, sogar mit einer Art Katharsis. Wer Castorf mag, für den sind seine Inszenierungen ein theatralisches Wellnesserlebnis, sogar ein Jungbrunnen. Die Hartgesottenen applaudierten am Ende begeistert.

Schutzburg, Trutzburg Kunst

Wer ist dieser Richard? Ein Kaleidoskop aus verschiedenen Alter Egos, eine multiple Persönlichkeit, er spiegelt sich ebenso in der Königin Elisabeth wie in ihrem jüngeren Avatar, der etwas menschlicher wirkt als die ältere Frau. Das kecke Girl pickt sich aus dem höfischen Knabenreservoir fesche Exemplare heraus und stöhnt dann in dem für Castorf-Inszenierungen typischen Minihaus – statt einem Bungalow gibt es diesmal eine Luxushütte mit schmauchendem Schornstein, angeklebt an die Burgmauer – in einem monotonen Endlos-Orgasmus. Richard erobert Königin Elisabeth, indem er ihr klarmacht, dass ihre Zügellosigkeit sie die Macht kostet.

Für seinen wichtigsten Schauspieler, Martin Wuttke, hat sich Castorf diesmal eine spezielle Quälerei ausgedacht: Ein riesiger Hippie-Haarpelz bedeckt Körper und Gesicht, Wuttke muss seine gewaltigen Textmassen gegen die Haarflut durchsetzen. Er tut dies mit höchster Souveränität in einer Vielzahl von Tonlagen zwischen quäkender Kinder-, donnernder Diktatoren- und lyrischer Gesangsstimme. Dieser Richard manipuliert, deklamiert, malträtiert – und wenn er nicht redet, muss er in seinem flatternden Batik-Kleid die Treppe hinunterstürzen. Man ist richtig froh, als Wuttke ablegt und nackt im Bett sitzt. Jetzt kann dem armen Mann mal fünf Minuten nichts zustoßen.

Natürlich hat die Sache ihren Sinn: Diese „Richard“-Riesenkiste, die zwischen Kapitalismus-, Kolonialismus- und Kirchenkritik, zwischen shakespearehafter Poesie und Satire aufs Theaterpathos, zwischen Bach als Synonym für die Endlosschleife dieser Aufführung, und Popmusik wandert, taumelt, ist auch ein Abgesang auf die Beatnik-Generation, der Castorf angehört. Auf die Frage, ob es irgendetwas gibt, was er an Amerika mag, sagte er jüngst im Interview: Janis Joplin.

Dieser „Richard“ ist trashiges großes Welttheater, aber er zeichnet auch Szenen aus dem Leben der Theaterkommune Castorfs – und des Burgtheaters. Dessen Krise wird witzig aufs Korn genommen. Wenn sich Bert Neumanns schwarz dräuende Bühnenfestung unterm rotem Baldachin meditativ dreht, Schauspieler sich mit ihren echten Vornamen anreden, tun, als wären sie high, Party machen, wird auch die Zweckfreiheit, das L'art pour l'art gefeiert, die glorifizierten Sixties mit Happenings, freier Liebe und die Bühnenkunst selbst als Schutz- und Trutzburg für virtuose Taugenichtse, die mit Geld nicht umgehen können – und wenn man sie schimpft, als Waffe den Geniestreich zücken, was bei Politikern heute nicht mehr wirkt.

Die Schauspieler sind wunderbar: Sophie Rois, die diesmal eine Fülle von Facetten aufblättern darf – zwischen schriller, böser First Lady und zartem Hermaphroditen; die toll schillernde Jasna Fritzi Bauer; Oliver Masucci, Markus Meyer, Hermann Scheidleder; auch die singende multikulturelle Truppe begeistert. Gespenstisch, schrullig: Ignaz Kirchner als Narr. Es gibt viel Spaß in dieser Aufführung über ernste Dinge. Gegen Schluss wird z.B. im Schein der Fackeln „Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei“ als Kanon gesungen. Und Sophie Rois spricht trotzig: „Na schön, dann gehört die Burg jetzt mir.“ Insgesamt: Ein bildender, zeitweise nervender, oft entzückender Abend, dessen Kürzung, speziell im Mittelteil, um 30 bis 40 Minuten kein Nachteil gewesen wäre.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2014)

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