Literatur

„Gegen die Normalitätsterroristen“: Jelinek ist nun Wiener Ehrenbürgerin

Selten fotografiert, nun aber doch: Elfriede Jelinek mit Bürgermeister Michael Ludwig am 12. September in Wien.
Selten fotografiert, nun aber doch: Elfriede Jelinek mit Bürgermeister Michael Ludwig am 12. September in Wien.APA / Christian Jobst
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Mit fast zweijähriger Verspätung wurde die Auszeichnung der Nobelpreisträgerin in kleinem Kreis übergeben. Jelinek sagte, es sei „die einzige Ehrung seit dem Nobelpreis, die ich angenommen habe“.

Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek ist Wiener Ehrenbürgerin. Die 76-jährige Autorin, die 2004 mit dem Nobelpreis geehrt wurde, hat am Dienstagnachmittag ihre Urkunde im kleinen Kreis von Bürgermeister Michael Ludwig und Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (beide SPÖ) überreicht bekommen - mit fast zweijähriger Verspätung. Der entsprechende Beschluss war im September 2021 im Wiener Gemeinderat gefasst worden.

Die Verzögerung der Übergabe sei „hauptsächlich Corona geschuldet“, sagte der Bürgermeister, die Tatsache der öffentlichen Annahme der Ehrung sei jedoch außergewöhnlich. Das hob auch die Geehrte in ihren Dankesworten hervor. „Es ist die einzige Ehrung seit dem Nobelpreis, die ich angenommen habe.“ Dies sei vor allem einem Umstand geschuldet: „Ich bin wirklich Wienerin“, so die in Mürzzuschlag zur Welt Gekommene, deren Wiener Eltern dort ein Ferienhaus besaßen.

Sie fühle sich der Tradition des Roten Wien sehr verbunden - und sie nehme die Ehrung auch als Statement „gegen diese Normalitätsterroristen“ an. „Ich wundere mich sehr, dass bei dieser Normalitätsdebatte niemand vom gesunden Volksempfinden der Nazis redet, denn von dort kommt das her. In einem Land, wo so viele Landeshäuptlinge ohne Not und ohne Zwang mit diesen Leuten zusammengehen, mit Protofaschisten, Neofaschisten, Neonazis sogar, muss man diese Stadt mit ihrer ganzen Multikulturalität und ihrer Integrationskraft des Fremden hochhalten.“

Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), die Schriftstellerin Elfriede Jelinek sowie Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ).
Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), die Schriftstellerin Elfriede Jelinek sowie Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ).APA / Christian Jobst

Zu Ehrenbürgerinnen und Ehrenbürgern kann der Gemeinderat laut Wiener Stadtverfassung Personen ernennen, „die sich um die Republik Österreich oder die Stadt Wien besonders verdient gemacht haben“. Allzu oft wird davon nicht Gebrauch gemacht. Vor Jelinek wurden seit dem Jahr 2000 nur 13 Persönlichkeiten auf diese Art und Weise gewürdigt - darunter Billy Wilder (2000), Eric Hobsbawm (2008), Friederike Mayröcker (2015), Franz Vranitzky und Heinz Fischer (2017), Hugo Portisch (2018) und Michael Häupl (2019).

Die bekannte Kritik der FPÖ

Die Ehrung für Jelinek hatte 2021 für Kritik bei der FPÖ gesorgt. Mit ihr werde eine deklarierte „Österreich-Hasserin“ geehrt, befand der blaue Kultursprecher Stefan Berger. Schon 1995 hatte die FPÖ die Schriftstellerin auf Plakaten angegriffen. „Lieben Sie Scholten, Jelinek, Häupl, Peymann, Pasterk... oder Kunst und Kultur?“, lautete damals der Slogan. Bürgermeister Ludwig erinnerte an dieses Plakat - und freute sich, dass mit Ex-Minister Rudolf Scholten auch ein anderer damals Angegriffener zur Ehrung, die nach dem Wunsch der Geehrten in einem Lokal in Wien-Hietzing vorgenommen wurde, erschienen war. Neben Freunden und Familienmitgliedern waren etwa die Autorinnen Rosa Pock und Raphaela Edelbauer, die Filmregisseure Ulrich Seidl und Franz Nowotny und die ehemalige Volkstheater-Direktorin Emmy Werner (der vom Bürgermeister zu ihrem morgigen 85. Geburtstag gratuliert wurde) unter den zwei Dutzend Gästen.

Bürgermeister Ludwig erinnerte daran, dass Jelinek mit ihren Werken „viele Türen geöffnet hat für die sehr harte Diskussion“ über die österreichische Vergangenheit und zeigte sich sehr stolz, dass Jelinek die Ehrung angenommen habe: „Das ehrt uns!“ Endlich sei der Prozess der Auszeichnung nun auch formal zum Abschluss gekommen, „eingraviert in die Marmortafel haben wir es schon“.

Aus der Öffentlichkeit hat sich Elfriede Jelinek seit langem aufgrund einer psychischen Erkrankung (einer Angststörung) komplett zurückgezogen. Auch ihre Stockholmer Nobelpreis-Rede hielt sie per Videoaufzeichnung. Umso bemerkenswerter, dass sie die Urkunde heute persönlich entgegennahm. (APA)

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