Jugendhaft als Stolperstein für Beatrix Karl

Archivbild: Justizministerin Karl präsentiert im Juli 2013 ein Maßnahmenpaket
Archivbild: Justizministerin Karl präsentiert im Juli 2013 ein Maßnahmenpaket APA/ROBERT JAEGER
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Die Debatte um die Zustände in der Jugendhaft, aber auch die Frage nach Alternativen zu Gefängnisaufenthalten brachte voriges Jahr das Justizressort in Bedrängnis. Schließlich wurden die Haftbedingungen verbessert. Eine Chronologie.

Der 14-jährige Bursch, der im vergangenen Mai in der Justizanstalt Wien-Josefstadt als U-Häftling vergewaltigt wurde, hatte mit anderen Insassen fünf Tage in der Zelle verbracht, bis es zu den gewalttätigen Übergriffen kam. Der Fall bewirkte schließlich Änderungen im Jugendstrafvollzug, eine Task Force erarbeitete Möglichkeiten, die U-Haft für Minderjährige vermeiden bzw. verkürzen soll. Im Folgenden eine Chronologie:

29. April 2013: Der 14-Jährige wird mit zwei älteren Komplizen und einem noch nicht 14 Jahre alten und daher strafunmündigen Burschen festgenommen, nachdem das Quartett versucht hat, in Wien einem älteren Mann auf der Straße mit zwei gezückten Messern Wertgegenstände wegzunehmen.

2. Mai 2013: Nach einer Einvernahme, in welcher der Bursch auf die Haft- und Rechtsschutzrichterin keinen nachhaltig geistig beeinträchtigten Eindruck macht, verhängt das Wiener Straflandesgericht über den 14-Jährigen die U-Haft. Als Haftgrund wird Tatbegehungsgefahr angenommen. Der Bursch kommt mit drei älteren Burschen in eine Zelle.

6. Mai 2013: Der 14-Jährige wird am Abend nach einer verbalen Auseinandersetzung von einem 16 Jahre alten Mitgefangenen zunächst geohrfeigt, geschlagen und getreten. Dann zwingt ihn der Peiniger, Abfall und alte Speisereste aufzuessen. Der 14-Jährige muss sich entkleiden und wird mit einem Besenstiel missbraucht.

7. Mai 2013: Der 14-Jährige meldet der Justizwache den Vorfall, die Verdächtigen werden umgehend - teilweise sogar in andere Justizanstalten - verlegt. Der 14-Jährige bleibt in Haft.

14. Mai 2013: Um 12 Uhr trifft bei der Staatsanwaltschaft ein Bericht der Jugendgerichtshilfe ein, in dem von einer verminderten geistigen Reife des 14-Jährigen die Rede ist und die Vermutung geäußert wird, dieser könnte noch nicht reif genug sein, um das Unrecht seiner Tat einzusehen. Damit wäre gemäß § 4 Absatz 2 Ziffer 1 Jugendgerichtsgesetz (JGG) keine Strafbarkeit gegeben. Noch am selben Tag bringt die Staatsanwaltschaft gegen den Burschen und die zwei strafmündigen mutmaßlichen Komplizen eine Anklage wegen versuchten schweren Raubes ein. Die Staatsanwaltschaft weiß zu diesem Zeitpunkt von der Vergewaltigung, die der 14-Jährige erlitten hat und die bei der Anklagebehörde zur Anzeige gebracht wurde.

15. Mai 2013: Die Raub-Anklage fällt in der Jugendabteilung des Straflandesgerichts an. Der Akt wird der Jugendrichterin Daniela Zwangsleitner zugeteilt. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft bestellt die Richterin eine psychiatrische Sachverständige, um den Geisteszustand des 14-Jährigen abklären zu lassen.

10. Juni 2013: Die Gutachterin Gabriele Wörgötter teilt der Justiz per Mail mit, dass sie die Einschätzung der Jugendgerichtshilfe teilt. Darauf wird der Jugendliche von der Richterin unverzüglich mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft enthaftet. Er kommt bei einer betreuten Wohngemeinschaft unter.

25. Juni 2013: Der Fall wird publik, nachdem die Wiener Jugendrichterin Beate Matschnig bei einer nicht medienöffentlichen Enquete von der Vergewaltigung berichtet und der "Falter" dies verbreitet hat.

26. Juni 2013: Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) reagiert nach Bekanntwerden des Übergriffs mit der Aussage, der Strafvollzug sei "kein Paradies". In einem "ZIB2"-Interview bemerkt Karl, die ihr Jus-Studium mit ausgezeichnetem Erfolg abgeschlossen hatte, auf die Frage nach Entschädigungsmöglichkeiten für den Burschen, sie könne das "juristisch nicht beurteilen". Und weiter: "Also ich kann als Justizministerin nicht da sitzen und mit dem Geld um mich werfen."

28. Juni 2013: Karl räumt nach breiter medialer Kritik an ihrer Performance Fehler der Justiz ein und stellt im Rahmen einer Pressekonferenz fest: "Aus heutiger Sicht hätte man das Opfer nicht in diese Zelle sperren dürfen." In weiterer Folge setzt Karl eine Task Force Jugendhaft ein, die die Haftbedingungen für jugendliche Häftlinge verbessern soll.

8. Juli 2013: In der betroffenen JA Josefstadt werden erste Maßnahmen ergriffen, um Jugendlichen die Haft zu erleichtern. Die Einschlusszeiten in die Zellen werden verkürzt, die Hafträume werden nur mehr mit maximal zwei Burschen belegt.

11. Juli 2013: Justizministerin Beatrix Karl kündigt in einem "Presse"-Exklusivinterview ein umfassendes Maßnahmenpaket zur Verbesserung des Jugendstrafvollzugs an.

12. Juli 2013: Justizministerin Karl präsentiert das Paket auch im Rahmen einer Pressekonferenz. Überschattet wird ihre Pressekonferenz vom Selbstmord eines 18-Jährigen in der JA Gerasdorf.

17. Juli 2013: Der Raubprozess gegen den vergewaltigten 14-Jährigen muss aus gesundheitlichen Gründen - der Bursch soll sich in einem psychisch angeschlagenem Zustand befinden - auf unbestimmte Zeit verschoben werden.

30. Oktober 2013: Die Task Force Jugendhaft legt ihren Abschlussbericht vor. Darin wird "Haftvermeidung" forciert. Die Experten empfehlen die Unterbringung von Jugendlichen in betreuten Wohngruppen statt im Gefängnis, sofern die Schwere des ihnen angelasteten Delikts dies zulässt.

1. April 2014: Der Peiniger des 14-Jährigen sowie die beiden Burschen, die untätig zugeschaut haben sollen, müssen sich vor Gericht verantworten. Sie bekennen sich zur Vergewaltigung bzw. Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung "nicht schuldig". Der nach wie vor offene Raubprozess gegen den 14-Jährigen soll in den kommenden Wochen über die Bühne gehen.

(APA/m. s.)

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