Die Ministerin findet plötzlich 50 Millionen Euro bei der Ganztagsschule. Und alles war nur ein "Missverständnis". Klingt, als wäre hier jemand überfordert.
Es ist nicht einmal ein Jahr her, da markierte Gabriele Heinisch-Hosek noch die starke Frau. Als sie in ihrer damaligen Funktion als Beamtenministerin bei den Verhandlungen über das neue Lehrerdienstrecht mit am Tisch sitzen durfte, war sie mit deftigen Worten in Richtung Lehrergewerkschaft schnell bei der Hand. Aber eine wortgewaltige Beamtenministerin macht eben noch keine konsequente Bildungsministerin. Das wissen wir spätestens seit Mittwochnacht.
Da nämlich wurde Gabriele Heinisch-Hosek von den Ländern so rasch über den Tisch gezogen, dass sie selbst davon vielleicht noch gar nichts bemerkte, als sie nach der „Verhandlungsrunde“ (nennen wir den Termin der Einfachheit halber so) vor die Medien trat. Oder aber – und auch der Verdacht liegt nahe – Heinisch-Hosek hat zur Sicherheit gleich gar keinen Tisch aufgestellt, über den sie die Abgesandten der neun Machtzentren der Republik hätte ziehen können, sondern ihnen ihre eigene Bankrotterklärung gleich als Geschenk dargeboten.
Jedenfalls kommt das, was die Ministerin am Abend zum Besten gegeben hat, einer Bankrotterklärung ziemlich nahe.
Um sich Ärger mit den Ländern oder gar ein ernsthaftes Nachdenken über ein effizienteres Schulsystem zu ersparen, hat sich die Ministerin kurzerhand von einem der zentralen Reformpläne der Regierung verabschiedet: dem Ausbau der Ganztagsschule. Dort werden einfach einmal 50 Millionen Euro eingespart. Ist ja auch kein Problem, wird sich Heinisch-Hosek gedacht haben: Es hat ja bloß einige Jahre gedauert, bis sich SPÖ und ÖVP darauf geeinigt haben. Dass es sich bei der Ganztagsschule ausgerechnet um eine langjährige rote Kernforderung handelt, war Heinisch-Hosek im Eifer des Gefechts wohl ebenso egal. Man muss ja nicht krampfhaft an alten Ideologien festhalten. Dass sie im Nebenjob auch noch Frauenministerin ist? Macht nichts. Um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie hat sich ohnehin eher Familienministerin Sophie Karmasin zu kümmern.
Der wahre Grund, warum Heinisch-Hosek und den Ländervertretern die Einsparung bei der Ganztagsschule so leichtgefallen ist, ist freilich ein ganz anderer: Es war eine Einigung zulasten Dritter. Einerseits zulasten der Gemeinden, die das Geld bekommen hätten, um etwa die Schulgebäude an die Bedürfnisse des geänderten Schulalltags anzupassen. Andererseits zulasten der Eltern und Kinder, die davon aber glücklicherweise nichts merken, weil ihnen ja kein bestehendes Angebot weggenommen, sondern ein zugesagtes schlicht nicht gemacht wird. Bis zur nächsten Wahl ist so ein uneingelöstes Versprechen doch längst wieder vergessen, wird man sich am Minoritenplatz gedacht haben. Angesichts der vielen anderen gebrochenen Versprechen fällt es nicht einmal sonderlich auf.
Die Ministerin hatte tags darauf freilich eine andere Erklärung, warum die Einsparung so problemlos möglich sei: Es handle sich um ein bloßes „Missverständnis“. Die 50 Millionen Euro seien nämlich genau jene Summe, die sich die Gemeinden in den Vorjahren ohnehin nicht „abgeholt“ hätten. Daher soll das Geld auch 2014 nicht zur Verfügung stehen. Sie bitte, so Heinisch-Hosek, dafür übrigens um Verständnis. Es sei eben alles sehr „komplex“. Welcher Berater ihr vorgeschlagen hat, Anleihen bei Fred Sinowatz zu nehmen, ist nicht überliefert.
Heinisch-Hoseks Zahlendurcheinander wirft jedenfalls einige Fragen auf.
Wenn das Geld schon bisher nicht „abgeholt“ wurde, warum hat man es dann für das kommende Jahr überhaupt budgetiert? Weil es so gut geklungen hat, irgendwo ein bisschen Geld zu verteilen?
Warum ist im gesamten Ministerium niemandem aufgefallen, dass 50 Millionen Euro ungenutzt herumliegen, bevor man sich dazu entschließt, die Erhöhung der Klassenschülerzahl als unumgängliche Sparmaßnahme zu verkünden?
Und, aus bloßem Interesse: Wer hat denn am Mittwoch am Abend plötzlich all das Geld entdeckt?
Die Ministerin wird die Fragen wohl nicht beantworten. Wahrscheinlich stellt man sich das aber auch viel zu einfach vor. Es ist ja alles sehr komplex.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2014)