Unterwegs

So süß schmeckt der Klimawandel

Von Spanien bis in die Wachau, überall wuchern neuerdings Brombeeren. Was ist da los?

Im Juli, in Nordspanien, fielen sie mir das erste Mal auf: Die Klippen am Atlantik waren gesäumt von großen Büschen voll wilder Brombeeren. Wie wonnig süß sie schmecken! Kein Vergleich mit den öden Glashausdingern aus dem Supermarkt. Jede einzelne umschmeichelt den Gaumen, eine Handvoll überwältigt mit einer Geschmacksexplosion.

Wie schön, dachte ich, hier braucht man nichts auf Brüsseler Geheiß zu renaturieren. Hier gibt es sie noch, die Hecken, in denen alles kreucht und fleucht. Aber auch zu Hause fand ich sie wieder, beim Mountainbiken im Wienerwald, an wohl vertrauten Wegen. Sollte ich die massenhaften Verlockungen stets übersehen haben? Kaum denkbar. Und letztes Wochenende, in der Wachau, wuchsen sie mir am Wanderpfad fast ins Maul. Also planen wir nun bei Ausflügen ins Grüne stets eine halbe Stunde mehr ein, für genussreiche Degustation.

Aber ach, es wird uns nicht wohl dabei. Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu, diese plötzliche, heftige Vermehrung. Die Recherche ergibt: Förster klagen über eine Plage, weil die wuchernden Büsche Jungbäume verdrängen. Forscher tappen im Dunkeln. Mit Stickstoff überdüngte Böden? (eher nicht). Mehr besonnte Lichtungen, wo der Borkenkäfer gewütet hat? (erklärt nicht viel). Aber mit dem Klima hat es wohl zu tun.

Immerhin: Das Gewirr aus Blättern und Dornen ist ein Safe Space für Kleingetier und Waffe gegen das Artensterben. Das möge uns genügen. Die Erderwärmung lässt uns in viele saure Äpfel beißen, und zu ihrer Eindämmung müssen wir noch zahlreiche bittere Pillen schlucken. Da seien uns doch, in diesem gloriosen Altweiber-Hochsommer, ein paar süße Beeren vergönnt. 

karl.gaulhofer@diepresse.com

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