Gewaltwelle

Banditen in Haiti rufen zum Sturz der Regierung auf

Bandenchef Jimmy „Barbecue“ Cherizier (im grünen Hemd) an der Spitze eines Aufmarschs in Port-au-Prince.
Bandenchef Jimmy „Barbecue“ Cherizier (im grünen Hemd) an der Spitze eines Aufmarschs in Port-au-Prince.Reuters / Ralph Tedy Erol
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Die verarmte und unglückselige Inselrepublik steht womöglich vor dem nächsten blutigen Staatsstreich, diesmal angeführt von einem brutalen Bandenchef. Das Land versinkt seit Monaten in Gewalt und ist praktisch unregierbar.

In der veramten karibischen Inselrepublik Haiti gibt es Anzeichen auf einen baldigen neuen Staatsstreich. Der aktuell mächtigste Bandenchef des Landes, Jimmy „Barbecue“ Chérizier, ein früherer Polizist, rief am gestrigen Dienstag zum Sturz von Premierminister Ariel Henry und dessen nicht gewählter Interimsregierung auf. „Wir nehmen den Kampf gegen die Regierung auf“, so Chérizier im Gespräch mit Reportern. „Unser Kampf wird ein bewaffneter sein“.

Chérizier, ein Mittvierziger, hat sich an die Spitze einer mächtigen Koalition von Banden gekämpft, die aktuell große Teile der Hauptstadt Port-au-Prince beherrscht und die Menschen terrorisiert, sodass es sogar zu Fluchtbewegungen kommt. Erst am Dienstag waren wieder Tausende seiner Männer marodierend durch die Straßen gezogen. Die Polizei ist recht machtlos, Militär gibt es nicht.

Haitis Gangs, die sich hauptsächlich durch Erpressung, Lösegeld und Drogenhandel finanzieren, sind seit der Ermordung von Präsident Jovenel Moïse anno 2021 immer stärker geworden. Moïse war 53, er wurde von Eindringlingen in seinem Privathaus erschossen. Die Hintergründe sind immer noch unklar.

Einige der zahlreichen Täter wurden auf der Flucht erschossen oder festgenommen, sie stellten sich als Söldner aus Kolumbien und US-Bürger mit haitianischem Hintergrund heraus. Als Auftraggeber wurden bisher ein in den USA lebender Arzt aus Haiti, Oppositionspolitiker, Unternehmer und eine Richterin verdächtigt, doch verliefen alle Untersuchungen bisher im Sand, mindestens zwei haitianische Untersuchungsrichter gaben ihre Fälle „aus persönlichen Gründen auf“, womöglich wegen Drohungen gegen sie persönlich.

Ein „verfluchtes“ Land

Seither gab es keine Präsidentenwahl, Premierminister Henry (73), ein Mediziner, amtiert wie erwähnt interimistisch. Er hat Wahlen versprochen, doch müsse dafür erst die Sicherheitslage wieder normal sein, wie er sagt. Leider geschieht das Gegenteil. Henry hat mehrfach um ausländische Hilfe gegen die Banditen gebeten, doch zeichnete sich so etwas bisher nicht ab. Allerdings hat zuletzt Kenia angeboten, eventuell eine UNO-Truppe für Haiti anzuführen.

Premierminister Ariel Henry im Juli bei einem Gipfeltreffen der EU und den Staaten Lateinamerikas und der Karibik in Brüssel.
Premierminister Ariel Henry im Juli bei einem Gipfeltreffen der EU und den Staaten Lateinamerikas und der Karibik in Brüssel.APA / AFP / Jean-christophe Verhaegen

Die ehemalige französische Kolonie Haiti, die sich mit der relativ wohlhabenden Dominikanischen Republik (einst spanisch) dieselbe Insel teilt, gilt seit ihrer Unabhängigkeit 1804 quasi als „verfluchtes“ Land. Schon ihr erster Staatschef, der schwarze Rebellenoffizier Jean-Jacques Dessalines, rief sich zu nichts weniger als zum Kaiser von Haiti auf und wurde bereits 1806 ermordet. Von knapp 70 Staatschefs (darunter sind einige Mehrfachzählungen sowie Interimsfiguren) seither wurden die meisten gestürzt, ermordet, traten vorzeitig zurück und/oder flohen ins Ausland. Das Land blieb immer arm, instabil, von Kriminalität geplagt, zieht kaum Touristen an und leidet unter Naturkatastrophen. Aufgrund der weitgehenden Abholzung des Urwaldes haben Unwetter schlimmere Folgen als im Nachbarland Dominikanische Republik, wo die Wälder großteils intakt sind. (Reuters/wg)

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