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Älteste Richterin der USA wegen Zweifel an Geisteszustand suspendiert

Richterin Pauline Newman (heute 96)
Richterin Pauline Newman (heute 96)Getty
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Pauline Newman ist eine Ikone des amerikanischen Patent- und Markenschutzrechts und hat eine schillernde Biografie. Allerdings kann sie von der Arbeit auch in hohem Alter einfach nicht lassen. Und hat jetzt Probleme deswegen.

Die mit 96 Jahren älteste US-Bundesrichterin ist am Mittwoch wegen Zweifel an ihren geistigen Kompetenzen vom Dienst suspendiert worden, nachdem sie eine Untersuchung verweigert hatte. Eine Befragung des Gerichtspersonals habe Beweise dafür erbracht, dass die 1984 vom damaligen Präsidenten Ronald Reagan ernannte Richterin Pauline Newman „möglicherweise unter erheblichen geistigen Problemen leidet, einschließlich Gedächtnisverlust, mangelnder Auffassungsgabe und Verwirrung“, so der zuständige Justizrat.

Kollegen hätten beklagt, dass Newman (*1927 in New York City) zu langsam arbeite und häufig durcheinander, nervös und streitlustig sei, hieß es weiter. Obwohl ihr Arbeitspensum bereits reduziert worden sei, brauche Newman viermal so lang wie andere Richter, um Stellungnahmen zu Fällen abzugeben.

Da die 96-Jährige eine Untersuchung durch einen von dem Gericht ausgewählten Neurologen und Psychiater abgelehnt hatte, sei sie vorerst für ein Jahr suspendiert worden. Das könne verlängert werden, wenn sie sich weiterhin weigere, zu kooperieren, erklärte der Justizrat.

Bundes-Berufungsgericht für Spezialthemen

Newman arbeitet seit Jahrzehnten bei einem Bundes-Berufungsgericht in Washington für spezifische Zuständigkeiten in Bereichen wie Patent- und Markenrecht, Verträge von Privaten mit Regierungsstellen, Ansprüche von Veteranen und Bundesbediensteten. Sie gilt als „Heldin des Patentwesen“, weil sie zahlreiche wichtige Entscheidungen zugunsten von Erfindern traf bzw. ihre abweichenden Stellungnahmen bei Urteilen des Richtergremiums sich letztlich weiterreichend durchsetzten, etwa als Basis anderer Urteile auch des Supreme Courts oder in der Vertragsgestaltung durch die Parteien in der Geschäftspraxis.

Newman bezeichnete die Entscheidung als rechtswidrig und Ergebnis persönlicher Animositäten. Die von ihr beauftragte Psychiaterin Regina Carney hatte erklärt, „Richterin Newman weist keine wesentliche emotionale, medizinische oder psychiatrische Behinderung auf, die die Ausübung ihrer Pflichten als Richterin beeinträchtigen würde“.

Newman erlernte als junge Frau das Fliegen und wollte eigentlich Arzt oder Chemiker werden. Sie arbeitete in den 1950ern mehrere Jahre als Forscher in einer Chemiefirma und wurde als Frau gemobbt, erhielt allerdings Patente für die Entwicklung einer schmutzabweisenden Kunstfaser für Bekleidung zugesprochen.

Auszeit als Cocktailmixerin in Paris

1954 verließ sie den Job und arbeitete einige Monate als Cocktailmixerin in Paris, bis ihr das Geld ausging und sie in einem anderen US-Chemieunternehmen im Staat Pennsylvania (konkret: Food Machinery & Chemical Corporation, FMC) anfing. Zugleich studierte sie Jus und wechselte danach in die Rechtsabteilung der Firma. Später war sie 15 Jahre bzw. bis 1984 Chefin deren Patent- und Markenrechtsabteilung und hatte auch Funktionen als Beraterin etwa des Außenministeriums.

1982 war sie unter Präsident Reagan (1981-89) in einem Komitee tätig, das diesen in Wirtschaftsfragen beriet. Reagan, der legendäre Republikaner in der Endphase des Kalten Krieges, unterstützte damals den Aufbau des besagten spezialisierten Bundes-Berufungsgerichts (zwölf Richter) und nominierte Newman 1984 als Richterin dort. Der Senat stimmte dem im Februar desselben Jahres zu.

Berühmt als „abweichende Denkerin“

Sie wurde für ihre Arbeit vielfach ausgezeichnet und kam zu bedeutenden Urteilen oder eben einflussreichen abweichenden Stellungnahmen im Richtersenat, für die sie insbesondere berühmt wurde und die ihr den Ruf als „Great Dissenter“ eintrugen — also quasi großer Querdenker, Andersdenker, Denker gegen die Mehrheit.

In einem Fall etwa befand sie, dass die Benutzung eines gewöhnlichen mathematischen Algorithmus bei der Entwicklung eines industriellen Verfahrens nicht die Patentierung des Verfahrens verhindern könne. In einem anderen Fall hieß es, dass ein Patenthalter nicht gezwungen werde könne, eine Lizenz zum Nachbau des Produkts zu erteilen, auch wenn der betreffende Nutzer de facto wirtschaftlich von der Nutzung des Produkts abhängig ist. Sie schrieb auch, dass es keine Patentrechtsverletzung ist, wenn jemand ein Produkt, das nur zum Einmalgebrauch gedacht ist, repariert, um es erneut zu verwenden; es ging dabei 2001 um gebrauchte Einmal-Fotokameras von Fuji, die eine Firma in China erneut funktionsfähig machte und unter eigener Marke billig verkaufte, über einen Importeur auch in den USA. Der Gerichtssenat folgte hier Newman und befand, es handle sich um eine patentrechtlich zulässige Reparatur, nicht um einen unzulässigen Bau eines ganz neuen Produkts auf Basis eines patentierten Vorgängers.

Aktuelle Debatte über Greise in hohen Funktionen

Aber genug der Juristerei. Die jetzige Causa Newman könnte erneut die Debatte über das besonders hohe Alter vieler Menschen in verantwortungsvollen Positionen in den USA, speziell in der Politik, anheizen. Jüngst hatte der 81-jährige Mehrheitsführer der Republikaner im Senat, Mitch McConnell, mit geistigen Aussetzern bei Pressekonferenzen für Schlagzeilen gesorgt. Drei weitere Senatoren sind noch älter als McConnell, darunter der Republikaner Chuck Grassley (89) und die Demokratin Dianne Feinstein (90).

Alter ist auch ein zentrales Thema vor der Präsidentschaftswahl 2024. Präsident Joe Biden ist 80 Jahre alt, sein möglicher republikanischer Herausforderer, Ex-Präsident Donald Trump, auch schon 77.

(Text: Wolfgang Greber, mit Unterstützung von APA/AFP)

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