Gastkommentar

Ein Comeback von Kurz ist chancenlos

Peter Kufner
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Wenn eine politische Erzählung so in sich zusammenfällt wie jene von Sebastian Kurz, gibt es kein Zurück mehr in die Politik.

Seit Wochen wird über ein mögliches Politik-Comeback von Sebastian Kurz spekuliert. Eine Bewegtbild-Hagiografie, ein Mega-Plakat und Gin-Tonic-Premierenabende der feinen Kurz-Gesellschaft liefern den Stoff für die mediale Berichterstattung. Kurz spielt wieder mit der Öffentlichkeit. Denn nicht die Anklage wegen Falschaussage im U-Ausschuss oder die laufenden Ermittlungen wegen des Verdachts der Untreue, der Bestechung und der Bestechlichkeit stehen im medialen Fokus, sondern Kurz’ potenzielle Rückkehr in die Politik.

Ich halte es für notwendig, sich kritisch mit diesem Szenario auseinanderzusetzen – selbst wenn man sich vorwerfen lassen muss, damit sein Spiel mitzuspielen. Was wäre, wenn? Meine Antwort ist eindeutig und die Begründung für Sebastian Kurz wenig schmeichelhaft. Der ehemalige ÖVP-Heilsbringer hat keine Chance. Warum?

Um diese Frage zu beantworten, benötigt es keine Umfragen. Es genügt die Lektüre der berühmten Schrift „Il Principe“ von Niccolò Machiavelli aus dem 16. Jahrhundert. Dieses Buch, das über Jahrhunderte geschmäht wurde, blickt nüchtern und ohne jegliche Beschönigungen auf die politische Praxis jener Zeit. Machiavelli studiert den Herrscher und dessen Techniken der Macht. Wie komme ich zur Macht, und mit welchen Strategien kann ich sie erhalten? Am Aufstieg und Fall von Sebastian Kurz zeigt sich, wie wenig Machiavellis Thesen an Gültigkeit verloren haben. Der Staatsphilosoph zieht einen Vergleich mit Tieren, um den Charakter und das Handeln von Herrschenden zu beschreiben. Er wählt dazu den Löwen und den Fuchs. Man müsse Fuchs sein, um Schlingen zu wittern und selbst zu legen, und Löwe, um Wölfe zu schrecken, so Machiavelli sinngemäß. Der politische Löwe ist mutig und kämpferisch. Er zeigt seine Pranken. Die großen Stärken des Fuchses sind hingegen seine List und sein Täuschungsvermögen. Machiavelli bevorzugt den Fuchs: „Wer am besten Fuchs zu sein verstanden hat, ist am besten gefahren!“

Tricksen, Tarnen, Täuschen

Das zeigt sich auch bei Kurz. Tricksen, Tarnen und Täuschen hievten ihn an die Spitze der ÖVP, dann an jene der Regierung. Wolfgang Sobotka spielte den Löwen und fuhr die Pranken aus, um den damaligen Bundeskanzler, Christian Kern, öffentlich zu attackieren. Nur nicht selbst die Finger schmutzig machen! Gefälschte Umfragen ließen ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner schlecht aussehen, die Intrigen waren voll im Gange. Kurz zog die Fäden im Hintergrund, nach außen hin mimte er den Politiker, der hohe sittliche Ansprüche an sich selbst und an den Politikbetrieb insgesamt stellt. Es brauche einen neuen Politikstil, keinen Streit, kein Anpatzen, so der damals aufstrebende Politiker.

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Die wichtigste Praxis des Fuchses ist die Verstellung. Machiavelli schreibt: „Doch muss man sich darauf verstehen, die Fuchsnatur gut zu verbergen.“ Das gelang Sebastian Kurz zunächst exzellent. In der berühmten Beinschab-Umfrage, in der für das Finanzministerium abgefragt wurde, welchem Tier einzelne Politikerinnen und Politiker ähneln, wurde Kurz von der Bevölkerung mit einem Delfin und einem Eichhörnchen verglichen. Kurz, die Fuchsnatur in der „süßen“ Eichhörnchen-Verkleidung, als fleißiger, unermüdlicher Politiker, dem es ausschließlich um das Wohl Österreichs geht. Und selbst wenn das Eichhörnchen Löwenpranken zeigt, um Flüchtlinge und andere Minderheiten anzugreifen, dann macht es das ja im Interesse und zum Schutz unseres Landes. Kurz mache sich Sorgen um den Sozialstaat, so lautete die Botschaft, deshalb müsse man halt tun, was richtig sei.

Von der Mitte nach rechts

Es lief gut für den ÖVP-Obmann. Der Erfolg beseitigte innerhalb der ÖVP jeden Zweifel an der ethischen Vertretbarkeit der Mittel. Der Mutation der ÖVP von einer konservativen Partei der Mitte zu einer Rechts-Partei sah man nicht nur zu, sondern unterstützte sie sogar. Bei Landtagswahlen auf der Kurz-Erfolgswelle mitzuschwimmen war einfach zu verlockend. Aber es kam, was kommen musste. Der Fuchs wurde enttarnt. Der Anschein der „guten Eigenschaften“, den sich ein Herrscher nach Machiavelli unbedingt geben muss, ging verloren. Der französische Diplomat und skrupellose Opportunist Talleyrand soll einst gesagt haben: „Die Sprache ist dem Menschen gegeben, um seine Gedanken zu verbergen.“

Doch plötzlich kamen Chats ans Tageslicht, die das wahre Denken offenbarten. Die zutage geförderten Gedankenfetzen, geschrieben von Kurz und seinen Getreuen im Glauben an strengste Vertraulichkeit, zeichnen ein Bild von Verschlagenheit, Niedertracht und Wortbrüchigkeit. Letzteres wiegt am schwersten. Die rechtspopulistische Grunderzählung von Kurz gegenüber der Bevölkerung lautete: „Die herrschenden linken Eliten drängen die Bevölkerung immer mehr an den Rand der Gesellschaft. Diese Eliten bereichern sich selbst und bevorzugen Minderheiten, wie zum Beispiel Flüchtlinge, gegenüber der Mehrheit der hart arbeitenden Österreicher. Dieses System muss beseitigt werden.“

Die Chats konterkarierten diese Story, denn plötzlich wurde enthüllt, dass die elitäre Kurz-ÖVP sich selbst und ihre reichen Freunde bevorzugt und über die hart arbeitende Bevölkerung stellt. Steuernachlässe in Millionenhöhe für Leute mit guten Kontakten zum Kanzler („Du bist die Hure für die Reichen“, O-Ton Thomas Schmid), lukrative Posten für die ÖVP-Familie („Kriegst eh alles, was du willst“, O-Ton Kurz) oder das Verhindern des Ausbaus der Kinderbetreuung in Österreich („Gar nicht gut!!! Kannst Du das aufhalten?“, O-Ton Kurz) sind Beispiele dafür.

Wenn eine politische Erzählung derart in sich zusammenfällt wie jene von Sebastian Kurz, dann gibt es kein Erfolg versprechendes Zurück mehr in die Politik. Nicht die mögliche Falschaussage im U-Ausschuss, nicht die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und nicht das Verdrehen der Wahrheit für die eigenen politischen Zwecke sind dafür ausschlaggebend, sondern der Verlust seiner Glaubwürdigkeit anhand seiner zentralen politischen Erzählung.

Der Wortbruch ist da

In einer Welt der mehrdeutigen Wirklichkeiten, schreibt der Essayist Christian Schüle, gehe es nicht mehr um den sittlich korrekten Inhalt einer Aussage, sondern um den formalen Akt der Einhaltung. Entscheidend ist, ob Wort gehalten wird. Donald Trump und andere Rechtspopulisten zeigen vor, dass sie trotz ihrer Lügen glaubwürdig für ihre Wählerinnen und Wähler geblieben sind. Anders bei Kurz: Die Chats, die direkt von ihm und seinen engsten Vertrauten stammen, stehen im krassen Gegensatz zur eigenen Grund- und Selbsterzählung. Den Wortbruch bekommt er nicht mehr weg. Seine politische Erzählung, neu aufgewärmt, würde nicht mehr greifen. Ein Kurz-Sequel würde floppen. Kurz will niemand mehr in der Politik sehen, genauso wenig wie jemand den PR-Film (und angeblich gibt es nun sogar einen zweiten solchen Film) über ihn sehen will. Die Verzweiflung der ÖVP muss groß sein, sollte sie nur im Ansatz daran denken, Sebastian Kurz zurückzuholen.  

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor:

Stefan Wenzel-Hirsch (* 7. 3. 1975 in Wien) ist Ex-Kommunikations- chef der SPÖ und ehemaliger Sprecher von Bundeskanzler Alfred Gusenbauer sowie mehrerer Bundesminister. Er studierte Kommunikations- und Politikwissenschaft an der Uni Wien und hat derzeit keine Funktion in der SPÖ mehr.

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