Wort der Woche

Machtkampf um die Digitalisierung

In Sachen Digitalisierung gibt es derzeit drei konkurrierende Weltmächte – USA, China und auch die EU –, hält eine US-Forscherin fest. Bald werden es nur mehr zwei sein, meint sie. 

Die geostrategische Lage der Welt wird häufig so beschrieben: USA und China ringen um die Vorherrschaft, und Europa ist machtlos dazwischen eingeklemmt. Dieses Bild ist in den Augen von Anu Bradford, Professorin an der Columbia Law School (New York), zu kurz gegriffen – zumindest in manchen Bereichen, wie etwa bei digitalen Technologien. Hier gebe es drei Weltmächte mit unterschiedlichen Zugängen, argumentiert sie in ihrem dieser Tage erscheinenden Buch „Digital Empires“ (599 S., Oxford University Press, ca. 40 €): Das Markt-getriebene Modell der USA beruht auf maximaler Freiheit und Innovation; der Staat unterstützt die globale Expansion der Tech-Konzerne und spannt diese für Sicherheitszwecke ein. Das staatlich getriebene Modell Chinas dient v. a. der Kontrolle der Bürger und gleichzeitig dem Ziel einer weltweiten Technologie-Dominanz. Und das Rechte-getriebene Modell der EU ist Menschen-zentriert und basiert auf Grundrechten und Werten.

Diese drei „digitalen Imperien“ stehen in der Welt in scharfer Konkurrenz. Die USA und China tun aktiv sehr viel, um ihre Modelle durchzusetzen. Anders Europa: Die Macht der EU beruht in Bradfords Augen auf den Regulatorien für den Binnenmarkt: Weltkonzerne, die in Europa Geschäfte machen wollen, unterwerfen sich vielfach den strengeren europäischen Regeln, müssen sich dann nicht weiter um einzelstaatliche, meist schwächere Regulatorien kümmern und verbreiten die europäischen Standards auf diese Weise weltweit – Bradford hat dafür 2020 das Schlagwort „Brüssel-Effekt“ geprägt.

In ihrer jetzigen Analyse der digitalen Sphäre kommt sie zu einigen bemerkenswerten Schlüssen: Erstens werde der Konflikt China–USA zwar andauern, aber nicht eskalieren, weil die beiden Mächte wegen der verschränkten Lieferketten voneinander abhängig sind. Zweitens: Auf autoritäre Regimes übe das chinesische Modell eine immer stärkere Anziehungskraft aus; demokratische Regimes hingegen tendieren zum europäischen Modell.

Und drittens – etwas überraschend: Das US-Modell sei zusehends im Verblassen, meint sie. Denn: „Immer mehr US-Bürger wollen Regelungen wie in der EU.“ Dadurch verkleinere sich die transatlantische Kluft deutlich, aus dem aktuellen Dreikampf werde in der Folge ein Zweikampf: eine USA/EU-geführte Allianz von „Techno-Demokratien“ gegen „Techno-Autokratien“ um China. Und dabei gehe um nichts Geringeres als um das Schicksal der liberalen Demokratie, so Bradford.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

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