Gastkommentar

Vom Ehrgeiz, einen Titel zu führen

Peter Kufner
  • Drucken

Die Titelsucht der Österreicher mag ihre Wurzel auch in der k. u. k.-Monarchie haben. Die KI wird sie in Zukunft womöglich bremsen.

Schon wieder zeiht der Plagiatsgutachter Stefan Weber einen prominenten Österreicher des akademischen Betruges, und es passiert Erstaunliches: Das schleichend über die Jahre zur zitierfähigen Öffentlichkeit avancierte „Netz“ hält zum ÖBB-Chef Andreas Matthä. Dass der Plagiatsjäger regelmäßig zu weit gehe, ist noch einer der höflicheren Vorwürfe, die ihm unterstellt werden. Nun hat Stefan Weber auf jeden Fall ein breites Arbeitsfeld, denn in Österreich ist ein Titel immer noch etwas, das erstens Eindruck macht und zweitens sehr begehrt ist.

Wie die „New York Times“ 2021 in Webers Porträt treffend schreibt: „Titles are important signals of social standing“. Diese wichtigen Marker sozialen Ansehens sind natürlich auch in anderen Ländern wichtig. Doch nirgends werden sie so gern angeführt wie hierzulande. Warum sind Titel in Österreich immer noch derart wesentlich, dass sich ein eigenes Geschäftsfeld mit ihrer Rechtmäßigkeit beschäftigen kann?

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

>>> Mehr aus der Rubrik „Gastkommentare“

Im Herbst beginnen viele Karrieren, auch wenn die Erstklässler mit den Schultüten noch nicht an ihre berufliche Zukunft denken. Bei den Studierenden ist das anders. Die Universitätslandschaft Österreichs hat sich durch den Bologna-Prozess, also die Vereinheitlichung der Hochschulbetriebe im europäischen Raum, stark verändert. Die Reform hat dafür gesorgt, dass genau das eingetreten ist, wovor Expertinnen und Experten schon früh gewarnt haben: eine Verschulung des Studiums, eine Reduktion von Wahlmöglichkeiten und eine Konzentration auf das Sammeln von ECTS-Punkten statt von Erfahrungen, die nicht zuletzt mit Persönlichkeitsentwicklung zu tun haben. Keiner Gesellschaft tut es gut, wenn der Ehrgeiz junger Menschen darin besteht, möglichst schnell möglichst viel Geld zu verdienen. Für viele der gegenwärtig Studierenden besteht der Sinn eines Studiums nicht mehr darin, sich in ungewohnten Perspektiven zu erproben oder in Themen zu vertiefen, die ihre Leidenschaft entfachen. Ein Studium ist für sie ein notwendiger Abschluss, um Karriere machen zu können. Und im Österreich der Gegenwart gibt es eine regelrechte Titelflut, die mit der Aufwertung des Handwerks durch eintragungsfähige Meistertitel noch einmal verstärkt wurde.

Ich hätte gern einen Titel!

Es ist kein Wunder, dass Studierende sich hier einordnen wollen. Neue Titel kommen also dazu, während alte Titel, die längst keinen Bezug zur Lebensrealität mehr haben, bestehen bleiben: Eine Hofrätin, ein Hofrat kann man werden, auch wenn der dazugehörige Hof schon lang nicht mehr existiert. Hier liegt vielleicht auch des Pudels Kern begraben: Die k. und k. Monarchie war so groß, dass man sie mit der Einführung verschiedener Hierarchien regierbar halten wollte – und manche dieser Hierarchierelikte gibt es als sogenannte Berufstitel auch heute noch.

Für die Recherche zum Thema Ehrgeiz musste ich mich mit den Ungeradlinigkeiten meines eigenen Lebens auseinandersetzen, die da lauten: Ich führe keinen Titel, aber ich hätte gern einen. Nun arbeite ich im Kulturbereich, wo der Prozentsatz der Titelträger und Titelträgerinnen noch einmal um einiges höher ist als im restlichen Land. Ich werde überdurchschnittlich oft mit Frau Magistra tituliert. In dem Alter, in dem ich bin (47), und in dem Bereich, in dem ich arbeite (Kultur), ist es offenbar unvorstellbar, nicht irgendeine Geisteswissenschaft mit einem Magisterium abgeschlossen zu haben. Die fälschliche Betitelung ist skurril und erinnert mich laufend daran, dass ich mein Studium abgebrochen habe.

Für meinen Vater war immer klar, dass ich einmal Rechtswissenschaften oder Medizin studiere – das waren in der Generation meiner Eltern die sicheren Karriereträger. Als ich mich für ein linguistisches Studium entschied, war das gerade noch in Ordnung. Ich habe dieses Studium nicht abgeschlossen, weil mir das Leben dazwischenkam. Mein Vater ist schon vor Langem verstorben, und ich habe 2020 wieder zu studieren begonnen.

Mit meinem Ehrgeiz, mein Studium endlich mit einem Titel abzuschließen, schließen sich hier die Kreise: Wenn alle einen Titel haben, dann brauche ich auch einen. Da geht es mir nicht anders als den diesjährigen Erstsemestrigen. Die Frage ist, auf welchem Weg man zu diesem Titel gelangt.

Was für ein Hohn!

Der Soziologe Gustav Ichheiser zitierte in seiner Abhandlung zur Erfolgssoziologie eine schöne Szene aus den „Buddenbrooks“. Es geht darin um Schüler, die sich eine Lateinprüfung ermogeln. Und kaum sind sie alle durchgekommen, sind sie stolz. In dem Moment, in dem die Prüfung bestanden wurde, ist der Weg zum Erfolg egal geworden, ja vergessen. Das Ergebnis wird von denen, die die Prüfung auf rechtmäßigem Wege bestanden haben, ganz gleich empfunden wie von jenen, die es sich erschwindelt haben. So muss es auch sein, wenn man eine Dissertation in phantasievollem Deutsch an der Universität Bratislava abgibt und sich hernach Frau Doktor nennen darf. Was für ein Hohn all jenen gegenüber, die jahrelang nach höchsten Standards arbeiten und forschen, die ihr Herzblut und einen Teil ihrer Lebenszeit der Wissenschaft widmen.

Frau Bachelor? Noch nie gehört

Ein Ziel des Bologna-Prozesses war es, universitäre Studien effizienter zu gestalten. Der ungeliebte Bummelstudent sollte nicht zuletzt auf Wunsch der Rektoren aus dem akademischen System entfernt werden. Ein Ergebnis sind Studierende, die genau wissen, was sie wollen. Ihr Ehrgeiz richtet sich nicht mehr darauf, ihren Horizont zu erweitern, sondern ausreichend gut ans Ziel zu kommen. Es wird ihnen von jenen, die eben nicht jahrelang mit Herzblut wissenschaftlich arbeiten, nichts anderes vorgelebt.

Und wird einmal wirklich jemandem ein Titel aberkannt, dann ist das auch nicht so tragisch, dann kann er immer noch Bundesrat werden wie der ehemalige steirische Landesrat Christian Buchmann. Die schleichende Entwertung der universitären Studien und ihrer Abschlüsse geht Hand in Hand mit dem Bedeutungsverlust der Wissenschaft in der österreichischen Öffentlichkeit: Wenn eh so viel geschwindelt wird, wieso soll man dann den vermeintlichen Experten noch vertrauen?

Mindestens einen Vorteil brachte Bologna mit sich, nämlich neue Titel für einen Großteil der Studien. Sie sind nun wenigstens um einiges unaussprechlicher: Eine Frau Bachelor wurde im Wartezimmer meines Arztes noch nie ausgerufen. Stefan Weber hat mit Sicherheit einen ganz eigenen, durchaus hinterfragenswerten Ehrgeiz, meiner Meinung nach kann „das Netz“ sich aber gelassen zurücklehnen.

Zumindest kleinere universitäre Abschlüsse werden vermutlich bald auf anderem Weg erlangt werden müssen als durch die Abgabe einer schriftlichen Arbeit: Dafür wird die sich rasant durchsetzende künstliche Intelligenz schneller sorgen als es der schwerfälligen Akademia lieb ist. Oder aber die plagiatsprüfende KI und die Plagiat verfassende KI sind in nicht weit entfernter Zukunft so sehr mit einander beschäftigt, dass die Menschen sich einen anderen Ehrgeiz zulegen müssen als den, einen Titel zu führen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor:

Andrea Stift-Laube (*1976 in der Südsteiermark), lebt als Schriftstellerin und Herausgeberin der Literaturzeitschrift „Lichtungen“ in Graz. Vor Kurzem erschien ihr Essayband „Ehrgeiz“ bei Kremayr & Scheriau.

Das Buch „Ehrgeiz“ ist in der Edition Übermorgen bei Kremayr & Scheriau erschienen (112 Seiten, 21 Euro)
Das Buch „Ehrgeiz“ ist in der Edition Übermorgen bei Kremayr & Scheriau erschienen (112 Seiten, 21 Euro)Beigestellt

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.