Interview

Filmkomponistin Guðnadóttir: „Niemand arbeitet langsamer als ich“

Die Isländerin Hildur Guðnadóttir hat die Scores zum Kinofilm „A Haunting in Venice“ komponiert.
Die Isländerin Hildur Guðnadóttir hat die Scores zum Kinofilm „A Haunting in Venice“ komponiert. Amy Sussman/Getty Images
  • Drucken

Hildur Guðnadóttir hat die Filmmusik zum aktuellen Agatha-Christie-Film »A Haunting in Venice« komponiert. Dass das Kinopublikum ihre Kompositionen nur unbewusst wahrnimmt, stört sie nicht, erzählt die Isländerin im Interview mit der »Presse am Sonntag«.

Filmmusik ist immer noch überwiegend eine Männerdomäne. Doch ein Name, dessen Erwähnung auf diesem Gebiet seit einigen Jahren besondere Begeisterung auslöst, ist der einer Frau.

Hildur Guðnadóttir, geboren 1982 in Reykjavík. Bekannt wurde sie durch ihre Musik zur Serie „Chernobyl“ und zum Blockbuster „Joker“. Für letztere wurde sie unter anderem mit dem Oscar, dem Grammy und dem Golden Globe ausgezeichnet. Derzeit ist Guðnadóttirs Arbeit im Hercule-Poirot-Film „A Haunting in Venice“ zu hören, der gerade in den Kinos läuft.

Frau Guðnadóttir, was Ihre Arbeit als Filmkomponistin angeht, haben Sie sich bislang auf sehr ausgewählte Projekte wie „Joker“ oder „Tár“ konzentriert. Was hat Sie nun ausgerechnet an der Agatha-Christie-Adaption „A Haunting in Venice“ interessiert?

Hildur Guðnadóttir: Ganz einfach: Ich hatte schon immer eine heimliche Liebe zu Agatha Christie! Ich bin aufgewachsen mit ihren Büchern und ähnlich gelagerten Krimis. Meine Großmutter war Virologin, eine brillante Wissenschaftlerin, die geradezu besessen war von ihrer Arbeit. Für sie war der einzige Weg, mal abzuschalten und ihr Gehirn zu entspannen, die Lektüre eines guten Thrillers.

Das habe ich mir immer zu Herzen genommen! Und meine Mutter hat angeblich während ihrer Schwangerschaft mit mir jeden Tag einen Agatha-Christie-Roman gelesen. Kein Wunder also, dass ich insgeheim immer schon mal die Musik für einen solchen Film schreiben wollte. Ich habe das nur nie wirklich jemandem erzählt, weshalb es der wunderbarste Zufall war, als Kenneth Branagh mich dafür anfragte.

Wobei ja dieser Hercule-Poirot-Film gar nicht sonderlich traditionell umgesetzt wurde.

Stimmt, Kenneth betonte von Beginn an, dass er dieses Mal etwas ganz anderes im Sinn hatte als bei „Mord im Orient-Express“ und „Tod auf dem Nil“. Der neue Film sollte düsterer und mysteriöser sein, eher ein Horror- als ein Abenteuerfilm. Und vor allem wollte er Poirots psychologische Verfassung in den Fokus rücken, denn nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hinterfragt er nicht zuletzt sich selbst noch einmal ganz neu. All das sollte sich in der Musik niederschlagen, was ich höchst spannend fand.

Auch weil die Nachkriegszeit musikhistorisch eine ungemein spannende Zeit war, in der ganz viel experimentiert wurde, was Melodien, Strukturen und Instrumentierung angeht. Da wurden Grenzen ausgelotet und überschritten und die romantische Verklärung von vor dem Krieg in der Musik zusehends links liegen gelassen. All diese Entwicklungen wollte ich aufgreifen.

Ein Großteil des Kinopublikums wird all die Gedanken, die Sie sich dazu gemacht haben, während des Films kaum wahrnehmen. Ist das nicht frustrierend?

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.