Putschversuch

Wegen einer App: Tausende wurden in der Türkei zu Unrecht verurteilt

Der umstrittene islamische Prediger Fethullah Gülen lebt seit Jahrzehnten im US-amerikanischen Exil.
Der umstrittene islamische Prediger Fethullah Gülen lebt seit Jahrzehnten im US-amerikanischen Exil.Selahattin Sevi
  • Drucken

Wer die App Bylock installiert hat, gehört automatisch der verbotenen Gülen-Bewegung an – so urteilten viele türkische Gerichte jahrelang. Nun kommt eine Rüge aus Straßburg.

„Bylock dient als Primärquelle, um die Fetö-Strukturen aufzulösen und aufzudecken.“ Regierungsnahe Medien in der Türkei sind einstimmig in ihrer Analyse, was die App Bylock betrifft. Der Messenger-Dienst sei von Anhängern des Predigers Fethullah Gülen (in der Türkei gemeinhin als Fethullah-Gülen-Terrororganisation, Fetö, bekannt) benutzt worden, um verschlüsselt miteinander zu kommunizieren. Nach dem gescheiterten und blutigen Putsch 2016 machte die Regierung Jagd auf bekannte und unbekannte Gülen-Anhänger, und lokalisierte sie unter anderem über die App Bylock. Tausende wurden verhaftet und verurteilt.

Zu Unrecht – zu diesem Urteil kam nun der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Die bloße Nutzung der App reiche nicht aus, um eine Person als Mitglied einer verbotenen Gruppe zu verurteilen.

Kein faires Verfahren

In Straßburg liegen rund 8500 Klagen mit Bezug auf Bylock auf. Exemplarisch für sie alle wurde der Fall des Lehrers Yüksel Y. verhandelt. Das Gericht stellt mehrere Verstöße fest. Zum einen sei die Nutzung von Bylock im türkischen Strafgesetzbuch nicht als Strafe angeführt, doch gelte der Grundsatz „Kein Verbrechen und keine Strafe ohne Gesetz“. Zudem sei Y. ein faires Verfahren verwehrt worden. Bis zuletzt haben Y. und sein Anwalt keinen Einblick in die Prozessunterlagen erhalten.

Darüber hinaus verstoße die Türkei gegen das Recht auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Y. wurde im Jahr 2016 verhaftet, ihm wurde die Nutzung der App vorgeworfen sowie suspekte Bankaktivitäten; zudem habe er Verbindungen zu einer Terrorgruppe. Als Quelle wurde ein anonymer Informant genannt. Y. wurde zu einer Haftstrafe verurteilt: Sechs Jahre und drei Monate.

Der türkische Justizminister, Yilmaz Tunç, wies das Straßburger Urteil als „inakzeptabel“ zurück. Die türkischen Gerichte in allen Instanzen hätten die Beweisführung für als ausreichend befunden.

Die App Bylock wurde von einem türkisch-amerikanischen IT-Experten entwickelt. Er soll selbst der Gülen-Bewegung nahestehen und in der Vergangenheit zugegeben haben, dass die App mehrheitlich von Gülen-Anhängern verwendet werde – bis zum Putschversuch war die App kaum bekannt. Schon vor dem Putschversuch hat der türkische Geheimdienst Medienberichten zufolge den Server in Litauen gehackt und ist so zu den Nutzerdaten gekommen; im Gegensatz zu dem verschlüsselten Inhalt der Nachrichten waren diese offenbar schlecht gesichert.

Der umstrittene Prediger Fethullah Gülen lebt seit zwei Jahrzehnten im US-amerikanischen Exil in Pennsylvania. Seine Bewegung galt als sehr einflussreich, dem Gülen-Imperium gehörten Banken, Medien und Immobilien. Gülen galt als jahrelanger Unterstützer von Präsident Recep Tayyip Erdoğan, in Gülens Medien wurde die Politik der regierenden AKP aggressiv verteidigt. Spätestens nach dem Putschversuch 2016 war die Verbindung zerrüttet; die Türkei macht Gülen für dien Putschversuch verantwortlich. (red.)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.