Replik

Es braucht eine Justizreform

An der Unabhängigkeit der Justiz in Österreich ist noch viel grundlegender zu arbeiten als angenommen.

Benedikt Kommendas Leitartikel „Es ist was faul im Rechtsstaate Österreich“ (25. 9.­2023) hat noch mehr Sprengkraft, als der Titel schon andeutet. Zuallererst: Die parteipolitische Blockade bei der Besetzung der Gerichtsspitzen ist blamabel und beschämend über die Staatsgrenzen hinaus. Selbst wenn diese unmittelbare Herausforderung gelöst werden sollte, ist aber an der Unabhängigkeit der Justiz Österreich noch viel grundlegender zu arbeiten.

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Da wären einmal die Staatsanwaltschaften, die aus der politischen Einfluss- und Weisungskette herausgenommen werden müssen. Die Schaffung der von der Regierung fest versprochenen Bundesstaatsanwaltschaft in dieser Legislaturperiode wird aber mit jedem Tag unrealistischer.

Aber auch in der Gerichtsbarkeit gibt es Grundlegendes zu tun: Der Sideletter-Skandal ist auch nicht ansatzweise aufgearbeitet worden. Wie ist es möglich, dass es in Österreich – selbst für die Verfassungsgerichtsbarkeit! – ein geheimes De-facto-Bestellverfahren an der Verfassung vorbei gibt? Das nicht nur „empfehlenden“ Charakter hat, sondern, wie es scheint, punktuell umgesetzt wird!

Dass es seit 2022 (!), nach dem aufgedeckten Chat-Skandal, einen Personalsenat für Neubesetzungen im OGH-Präsidium gibt, mögen Einzelne als ersten Erfolg feiern. Aber dass die endgültige Entscheidung wiederum vom Justizminister/von der Justizministerin getroffen wird, entwertet diese „Reform“ dann wieder weitgehend und setzt uns europaweit ins Abseits. Wäre es nicht endlich Zeit, das in der Vergangenheit bspw. von der früheren OGH-Präsidentin Irmgard Griss propagierte Modell eines Justizselbstverwaltungskörpers umzusetzen? Einrichtungen dieser Art gibt es weltweit – ist ein solches Maß an Unabhängigkeit der Justiz für Österreich nicht verkraftbar?

Ein solcher Selbstverwaltungskörper könnte die Bestellung von Richtern auf allen Ebenen mit einem Höchstmaß an Unabhängigkeit regeln. Vorzugsweise unter Einbeziehung von externen Experten (bspw. Professoren und Vertreterinnen sonstiger juristischer Berufskategorien), da damit gerade in einem so kleinen Land wie Österreich ein erheblicher Objektivitätsgewinn zu erzielen wäre.

Richter und Professor? Schafft die Interessenkonflikte ab!

Während bei der Besetzung der Bestellgremien die engen Berufsgrenzen zu überwinden wären, sollte hingegen bei der Berufsausübung über die in Österreich eigenartige Verquickung von Funktionen nachgedacht werden. Dass nämlich hohe Richter häufig gleichzeitig professorale Ämter einnehmen, wirft nicht nur Fragen hinsichtlich der Arbeitsauslastung bei höchstgerichtlichen Funktionen auf und schafft Interessenskonflikte. Im Besonderen wird damit zusätzlich die Unabhängigkeit und Objektivität der Rechtsprechung gefährdet, wenn sich diese am Katheder selbst bestätigt.

Umgekehrt könnten die Universitäten nur gewinnen, wenn der durch das UG 2002 – EU-rechtswidrig! – ausgeschlossene Rechtsweg im Universitätsbereich wiederhergestellt würde, um zumindest die ärgsten Missstände im Uni-Sektor wirksam bekämpfen zu können.

Die geplante Auflösung des liechtensteinischen OGH sei ebenfalls angesprochen. Daran regte, sich z. T. massive, z. T. offensichtlich von einem Interessenskonflikt befeuert Kritik aus Österreich, teilweise in einem Tonfall zum Fremdschämen. Vielleicht können die vorliegenden Überlegungen – und noch prägnanter der Titel von Kommendas Beitrag – zu denken geben, wenn die souveräne liechtensteinische Politik beratschlagt wird, sie laufe hiermit Gefahr, den Anschluss an die europäische Rechtsstaatlichkeit zu verlieren.

Dr. Peter Hilpold (*1965) ist Professor für Völker-, Europa- und Vergleichendes Öffentliches Recht an der Uni Innsbruck.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

(„Die Presse“-Printausgabe, 29.9.2023)

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