Zeitzeuge

Das Tagebuch des Deserteurs

Faksimile einer Seite aus Bilgeris Tagebuch
Faksimile einer Seite aus Bilgeris TagebuchNachlass Rudolf Bilgeri
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Die Aufzeichnungen von Rudolf Bilgeri, der als Wehrmachtssoldat 1944 desertierte, sind ein berührendes privates Dokument und eine wichtige historische Quelle.

Viel Zeit ließ man dem österreichischen Bundesheer 1938 nicht: Bereits zwei Tage nach dem Einmarsch am 12. März musste der Gehorsamseid auf Adolf Hitler abgelegt werden. Die Kriegsmobilisierung ließ nicht auf sich warten. Tirol und Vorarlberg gehörten zum sogenannten Alpengau, hier wurden etwa 100.000 Männer (von 505.000 Einwohnern) einberufen, für die arbeitsintensive alpine Agrarwirtschaft war das eine Katastrophe. Die Stimmung war daher schlecht. So erschienen Appelle an die alten Tugenden der Tiroler nötig. Vor allem von den Gebirgsjägern erwartete man sich Kampfmoral und ein hohes Treueethos. Das zuständige Wehrkreiskommando XVIII knüpfte an Andreas Hofer an und glorifizierte den Heldenmut der alten Kaiserjäger: „Bergvolk ist Soldatenvolk.“

Doch es gab Indizien, dass sich spätestens im Sommer 1943 die Berge Tirols zu antinazistischen Trutzburgen entwickelten, dass sich hier Deserteure, von Bauern verpflegt und Priestern beeinflusst, verschanzten. Katholische Widerstandsgruppen ließen an die Alliierten Informationen darüber durchsickern. Robert Habsburg, Karl Gruber und Fritz Molden berichteten über Partisanen und Sabotageaktionen. Trat an die Stelle des heroischen Gebirgsjägers etwa der widerständige, desertierende Patriot, der sich gegen den totalen Verfügungsanspruch durch den NS-Staat und die Wehrmacht wehrte? Der Historiker Peter Pirker fand in einer breiten Palette von Quellen 528 Tiroler Deserteure, die meisten von ihnen versteckten sich „zu Hause“, in ihrem Herkunftsmilieu, in der Einschicht, auf Höfen und Hütten im Ötztal, Zillertal usw. Existenziell war die familiäre Unterstützung, häufig durch Frauen. So waren die Überlebenschancen relativ hoch. Sie wurden weniger verraten, weil in ihrem Heimatmilieu der Aufopferungsimperativ des NS-Staates abgelehnt wurde.

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