Logistik

Im Hausschlapfen-Radius gemütlich zum Packerl gehen

Die White-Label-Station ist für alle Lieferdienste zugänglich und wäre auch als Schließfach nutzbar.
Die White-Label-Station ist für alle Lieferdienste zugänglich und wäre auch als Schließfach nutzbar. FH des BFI Wien
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Wer nicht zu Hause auf eine Lieferung warten will, nutzt betreiberunabhängige Abholstationen, die auch White-Label-Boxen heißen. Sie sollen im „Hausschlapfen-Radius“ liegen, also nicht weiter als 200 Meter von der Wohnung entfernt sein. Wien ist Vorreiter bei diesem Thema mit der „Wienbox“.

„Sie haben als Kind gern an Türglocken geläutet und sind dann weggelaufen? Dann sind Sie bei uns richtig. Ihr Paketdienst.“ Dieser Witz verbreitet sich flott, weil jede und jeder schon erlebt haben, dass eine Zustellung nicht funktioniert. Man wartet von acht bis 17 Uhr zu Hause und findet dann im Hauseingang den Zettel, dass man nicht erreicht werden konnte.

Genau das Problem können „neutrale Abholstationen“ oder White-Label-Boxen lösen. Das sind Schließfächer, die fußläufig erreichbar sind und mit allen Zustelldiensten funktionieren. So können die Menschen dort ihr Paket abholen, ohne daheim aufs Klingeln warten zu müssen.

Die „Slipper distance“ geht um die Welt

„Wir sprechen vom ,Hausschlapfen-Radius’, ein Ausdruck, den unser Kollege Gerald Gregori eingeführt hat. Wir definieren den als die Strecke, die man auch in Hausschuhen zurücklegen würde, also circa 200 Meter“, sagt Andreas Breinbauer, Rektor der Fachhochschule (FH) des BFI Wien.

Inzwischen taucht der Begriff schon weltweit auf: Die „Slipper distance“ gilt in der Logistik als wichtiger Faktor, wenn Zustellungen kundenfreundlich ablaufen sollen. Die FH des BFI Wien begleitet nun ein Vorreiterprojekt der Stadt Wien und der Wiener Stadtwerke von wissenschaftlicher Seite.

Die Anzahl der zugestellten Pakete hat sich in Wien zwischen 2014 und 2019 mehr als verdoppelt. Jetzt sind über 400 neutrale Paketboxen im Projekt „Wien – Out of the Box“ bereits in Verwendung, wo große und kleine Lieferdienste die Pakete einschließen können. Die Kunden erhalten einen QR-Code, um bei der Abholung das richtige Fach der „Wienbox“ zu öffnen.

„In einer Überblicksstudie haben wir gesehen, dass Asien sehr weit bei der Nutzung von White-Label-Boxen ist, die USA sind eher das Schlusslicht. Europa liegt im Mittelfeld. In Europa ist Österreich und insbesondere Wien jedoch weit vorn. Hier gibt es gute Erfahrungen mit Abholstationen, die das Problem der letzten Meile lösen“, sagt Andreas Breinbauer.

Die berühmte „letzte Meile“ ist nämlich ein riesiger Kostenfaktor: Sogar wenn Waren aus Asien angeliefert werden, liegen die Kosten der Zustellung vom letzten Verteilerzentrum zum Endkunden im Durchschnitt bei bis zu 55 Prozent.

Verpasste Zustellversuche vermeiden

Auch der Klimaschutz leidet unter den verpassten Zustellungen, wenn der Paketdienst umsonst durch die Gassen fährt, noch einmal einen Lieferversuch macht, und am Ende die Kunden doch selbst ins Auto steigen, um das Paket von irgendeinem Shop abzuholen.

Das Forschungsteam hat nun in Österreichs größter Wohnsiedlung, in Alterlaa, 3130 Wohneinheiten mit Fragebögen versorgt, um die Zufriedenheit und Wünsche zu erfahren. Im Wohnpark Alterlaa gibt es bereits eine Wienbox-Abholstation, die von fast allen Lieferdiensten genutzt wird. 520 Antworten der Bewohnerinnen und Bewohner kamen zurück und liefern die Basis für die erste große empirische Studie zu den Nutzergewohnheiten. „Wir haben die Sichtweise der Kundinnen und Kunden ins Zentrum gestellt“, sagt Studienleiter David Strauß von der FH des BFI Wien.

Klima schonen muss bequem sein

Erstaunt war er, dass die Umwelt für die Kunden kein wichtiger Faktor ist. „Gut angenommen werden Abholstationen, die den Bedürfnissen der Leute Rechnung tragen“, sagt Strauß. Daher empfehlen die Forscher, dass White-Label-Boxen so eingerichtet sind, dass die bequemste Variante für die Leute auch die umweltfreundlichste ist. Wer den Menschen den Alltag erleichtert, schützt damit das Klima. Das Feedback der Nutzerinnen und Nutzer half weiters zu verstehen, wie man den QR-Scanner verbessern kann oder welche Größe der Displays und der Fächer angenehmer wäre. „Der Verkehr von Lieferdiensten zu Wohnungen – mit Stau und blockierten Einfahrten – war für die Leute weniger wichtig als die Sicherheit ihrer Waren und die Frage, wie sicher das Abholen dort für sie selbst ist“, sagt Strauß.

Nun geht die Forschung weiter, um auch Einzelhändlern den Zugang zu Wienboxen zu erleichtern. „Dann können Sie reparierte Schuhe oder eine bestellte Torte in den Fächern abholen“, sagt Breinbauer.

In Zahlen

55 Prozent der Kosten einer Zustellung liegen in der „letzten Meile“, also dem Weg vom letzten Verteilerzentrum zum Endkunden.

3130 Wohneinheiten in Alterlaa hat das Team befragt, um Verbesserungsideen für betreiberunabhängige Abholstationen zu erhalten. 520 Fragebögen waren die Basis für die Studie der Fachhochschule (FH) des BFI Wien.

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