Der ökonomische Blick

Wie sich der Wandel zu mehr Dienstleistungen auf die Löhne auswirkt

In vielen Industrieländern hat sich die Beschäftigungsstruktur in den letzten Jahrzenten deutlich vom Produktionssektor weg in Richtung Dienstleistungen verlagert.
In vielen Industrieländern hat sich die Beschäftigungsstruktur in den letzten Jahrzenten deutlich vom Produktionssektor weg in Richtung Dienstleistungen verlagert.Die Presse/Clemens Fabry
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Die Beschäftigung verlagert sich zunehmend von der Produktion in die Dienstleistungen.

In vielen Industrieländern hat sich die Beschäftigungsstruktur in den letzten Jahrzenten deutlich vom Produktionssektor weg verlagert. In den USA ist der Anteil der dort beschäftigten Arbeitnehmer von rund 20 Prozent in den frühen 1980er-Jahren auf weniger als zehn Prozent in den 2020ern gesunken. In Österreich ist im gleichen Zeitraum ebenfalls ein deutlicher Rückgang von über 40 auf 25 Prozent zu verzeichnen. Dieser Rückgang wird sich vermutlich fortsetzen und könnte sich im Zuge des technologischen Wandels sogar noch beschleunigen. In einer neuen Studie untersuchen wir daher die Auswirkungen dieses strukturellen Wandels auf Löhne am Beispiel von männlichen Beschäftigten in Westdeutschland seit den 1980ern, die von Massenentlassungen betroffen sind (Helm, Kügler und Schönberg, 2023).

Was ist „Der ökonomische Blick“?

Jede Woche gestaltet die Nationalökonomische Gesellschaft (NOeG) in Kooperation mit der „Presse“ einen Blogbeitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften. Dieser Beitrag ist auch Teil des Defacto Blogs der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an der Central European University (CEU). Die CEU ist seit 2019 in Wien ansässig.

Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der „Presse“-Redaktion entsprechen.

Mit dem Schwinden von Produktionsjobs über die letzten 40 Jahre sind immer mehr Arbeiter gezwungen, Stellen im expandierenden Dienstleistungssektor anzunehmen. Der Dienstleistungssektor ist allerdings viel stärker segmentiert als der Produktionssektor. Während für Jobs in nicht-wissensintensiven Dienstleistungen wie z.B. im Einzelhandel, der Logistik und im Gastgewerbe oft weniger Qualifikationen erforderlich sind, und diese typischerweise am unteren Ende des Lohnspektrums angesiedelt sind, handelt es sich bei wissensintensiven Dienstleistungen wie z.B. Softwareentwicklung und Finanz- und Versicherungswesen in der Regel um gut bezahlte Arbeitsplätze, die ein höheres Qualifikationsniveau erfordern. Die Beschäftigung ist in beiden Dienstleistungsbereichen in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich angestiegen, wie die Abbildung für männliche Arbeitnehmer in Westdeutschland zeigt.

Massenentlassungen führen zu bleibenden Lohnverlusten

In unserer Studie untersuchen wir die Folgen des Strukturwandels für Arbeitnehmer, die direkt von Firmenschließungen und Massenentlassungen im Produktionssektor betroffen sind. Von den entlassenen Arbeitnehmern sind sechs Jahre nach der Entlassung 15 Prozent immer noch arbeitslos. Selbst jene Arbeitnehmer, die eine neue Beschäftigung finden, verlieren durchschnittlich zwölf Prozent ihres früheren Lohnes. Mittels detaillierter Sozialversicherungsdaten können wir die Arbeitsverläufe dieser Arbeiter nachvollziehen und statistisch ermitteln, welche Lohnbestandteile diesen Lohnverlust erklären. Zusätzlich zu Faktoren wie Bildung ergibt sich die Höhe der Löhne und deren Verlust nach einer Entlassung unter anderem aus der Zeit im spezifischen Beruf, der Zeit im Betrieb, und der Zeit, die allgemein in der Erwerbstätigkeit und somit nicht arbeitslos verbracht wurde, sowie einem firmenspezifischen Lohnbestandteil. Somit hängt der Lohn eines Arbeitnehmers sowohl von seinen eigenen Fähigkeiten als auch von den Eigenschaften der Firma ab, bei der er arbeitet. Arbeitnehmer mit einer besseren Ausbildung oder mehr Erfahrung verdienen in der Regel mehr. Manche Firmen zahlen allgemein höhere Löhne selbst für weniger qualifizierte Arbeitnehmer, z.B. wenn die Firmen produktiver sind und ihre Beschäftigten über höhere Löhne an Gewinnen beteiligen. Der firmenspezifische Lohnanteil misst diesen durchschnittlichen Firmenlohn.

Um zu untersuchen, ob sich der Effekt einer Entlassung unterschiedlich auf Arbeiter mit geringen und mit hohen Löhnen auswirkt, vergleichen wir Arbeiter im niedrigsten Drittel der Lohnverteilung vor ihrer Entlassung (Geringverdiener) und im höchsten Drittel (Hochverdiener). Während entlassene Hochverdiener im Durchschnitt etwas größere Lohneinbußen im neuen Job hinnehmen müssen, erleiden Geringverdiener einen Lohnverlust, der stark firmenspezifisch ist. Dies deutet darauf hin, dass es für Geringverdiener schwieriger ist, nach der Entlassung wieder einen Job in einem gut bezahlenden Betrieb zu finden, als für Arbeiter mit ursprünglich hohen Löhnen. Ungefähr die Hälfte des Verlusts des firmenspezifischen Lohnbestandteils für Geringverdiener ist durch deren häufigeren Wechsel in die nicht-wissensintensive Dienstleistungsbranche zu erklären, in der Firmen ihren Arbeitern allgemein niedrigere Löhne als im Produktionssektor zahlen.

Steigende Lohnverluste nach Entlassungen im Produktionssektor über die Zeit

Wir gehen weiters der Frage nach, inwiefern der Strukturwandel die Lohnverluste über die Zeit verändert hat. Für entlassene Geringverdiener wird es immer schwieriger, einen neuen Job zu finden. Selbst wenn sie wieder einen Arbeitsplatz finden, erleiden sie auch immer größere Lohneinbußen, sowohl in absoluten Zahlen als auch im Vergleich zu Hochverdienern. Während Geringverdiener, die Ende der 1980er-Jahre entlassen wurden, drei Jahre nach der Entlassung Lohneinbußen von weniger als fünf Prozent im neuen Job hinnehmen mussten, stiegen die Verluste bis Mitte der 2000er-Jahre auf fast 15 Prozent, wie die Abbildung zeigt.

Firmenspezifische Verluste sind bei weitem der wichtigste Grund für die zunehmenden Lohnverluste von Geringverdienern. Verringerte Möglichkeiten, allgemeine Arbeitserfahrung und somit Humankapital durch Erwerbstätigkeit zu sammeln, erklären nur 17 Prozent der Verluste. Durch den strukturellen Wandel werden Geringverdiener seltener wieder im Produktionssektor eingestellt, in dem Firmen durchschnittlich gut zahlen, und wechseln nach Entlassungen immer häufiger in den schlecht bezahlenden, nicht-wissensintensiven Dienstleistungssektor. Hochverdiener wechseln stattdessen häufig in den wissensintensiven Dienstleistungssektor, in dem die firmenspezifischen Lohnanteile hoch sind.

Es hat somit über die Zeit eine Polarisierung des Arbeitsmarkts stattgefunden. Jobs im Produktionssektor, die von Geringverdienern ausgeübt werden, sind meist in der Mitte der Lohnverteilung konzentriert, Dienstleistungsjobs für Geringverdiener sowie für Hochverdiener sind hingegen am unteren bzw. oberen Ende der Lohnverteilung überrepräsentiert. Der Beschäftigungsrückgang im Produktionssektor ist daher auch eine wichtige Ursache für den in Deutschland und anderen Ländern beobachteten Anstieg der Lohnungleichheit.

Möglichkeiten der Arbeitsmarktpolitik

Eines der wichtigsten Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik zur Abfederung von negativen Auswirkungen des Strukturwandels sind derzeit Ausbildungs- und Umschulungsprogramme. Diese verfolgen das Ziel, Arbeitnehmer unter anderem mit im Dienstleistungssektor benötigten Fähigkeiten auszustatten. Unsere Ergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass Weiterbildungsprogramme insbesondere für Geringverdiener nicht ausreichen, da der firmenspezifische Verlust den größten Anteil am Gesamtlohnverlust ausmacht. Eine Herausforderung besteht daher darin, Niedriglohnjobs, insbesondere im nicht-wissensintensiven Dienstleistungssektor, in besser bezahlte Arbeitsplätze zu verwandeln. Möglichkeiten dazu sind gesetzliche Mindestlöhne oder Maßnahmen zur Stärkung der betrieblichen Mitbestimmung, ebenso wie die Förderung von Produktivitätswachstum.

Die Autorin

Alice Kügler ist Assistenzprofessorin für Volkswirtschaftslehre an der Central European University. Ihre primären Forschungsgebiete sind Arbeitsmarktökonomie und angewandte Mikroökonometrie.

Referenzen

Helm, Ines, Alice Kügler und Uta Schönberg, 2023. Displacement Effects in Manufacturing and Structural Change. IZA Discussion Paper No. 16344

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