Nahost-Konflikt

Mindestens 700 Tote bei Hamas-Angriff: Israel stellt sich auf „langen Krieg“ ein

Israelische Soldaten in der Stadt Kirjat Schmona nahe der Grenze zum Libanon.
Israelische Soldaten in der Stadt Kirjat Schmona nahe der Grenze zum Libanon.APA / AFP / Jalaa Marey
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„Wir beginnen einen langen und schwierigen Krieg, der uns durch einen mörderischen Angriff der Hamas aufgezwungen wurde“, sagt Israels Regierungschef Netanjahu. Laut israelischer Regierung verschleppte die Hamas mindestens 100 Menschen in den Gazastreifen. Die USA entsenden einen Flugzeugträger ins östliche Mittelmeer.

Nach dem Großangriff der radikalislamischen Hamas stellt sich Israel auf „einen langen und schwierigen Krieg“ ein. Bis zu Israels Sieg werde es keine „Atempause“ geben, erklärte Regierungschef Benjamin Netanjahu am Sonntag. Zehntausende israelische Soldaten kämpften im eigenen Land gegen militante Palästinenser, während die Luftwaffe hunderte Ziele im Gazastreifen bombardierte.

Auf israelischer Seite wurden nach Angaben bis Sonntagabend mindestens 700 Tote gezählt. Mindestens 2243 weitere Menschen wurden demnach verletzt, davon 200 lebensgefährlich. Im Gazastreifen wurden nach Angaben der Hamas im gleichen Zeitraum 370 Menschen getötet und 2200 weitere verletzt. Armeesprecher Hagari sprach von „hunderten Terroristen“, die bei den Gefechten in Israel getötet worden seien, Dutzende wurden demnach gefangen genommen.

Derweil hielten Hamas-Kämpfer weiterhin Geiseln aus Israel in ihrer Gewalt. „Wir beginnen einen langen und schwierigen Krieg, der uns durch einen mörderischen Angriff der Hamas aufgezwungen wurde“, erklärte Netanjahu. Nach dem Großangriff am Samstagmorgen, der Israel und seine Geheimdienste offenbar überraschte, startete die Armee die Offensive „Eiserne Schwerter“.

Zehntausende israelische Soldaten seien im Süden Israels im Gebiet rund um den Gazastreifen im Einsatz, um die „Terroristen“ zu bekämpfen und die „Befreiung von Geiseln“ zu erreichen, sagte Armeesprecher Daniel Hagari. Alle israelischen Bewohner in der Nähe des Gazastreifens sollten binnen 24 Stunden evakuiert werden.

Mindestens 100 Menschen aus Israel verschleppt

Die eingesickerten Hamas-Kämpfer drangen in Kibbuze sowie Städte ein, töteten Bewohner auf der Straße und in ihren Häusern und verschleppten Zivilisten und Soldaten. Die Angreifer stürmten auch ein Rave-Festival und schossen auf die Teilnehmer.

Nach israelischen Medienberichten wurden in den Orten Beeri und Ofakim Geiseln befreit, die Armee bestätigte dies zunächst nicht. Laut israelischer Regierung verschleppte die Hamas mindestens hundert Menschen aus Israel in den Gazastreifen. Darunter war laut einem „Spiegel“-Bericht womöglich auch eine in Israel lebende 22-Jährige mit deutscher Staatsbürgerschaft. Zudem sagte ein Israeli dem Sender Channel 12 News, seine deutsche Frau, ihre beiden kleinen Kinder und die Großmutter seien verschwunden.

Hisbollah-Miliz beschießt Israel aus dem Südlibanon

Israel kam am Sonntag auch vom Norden her unter Beschuss: Die mit der Hamas verbündete Hisbollah-Miliz beschoss das Land aus dem Südlibanon nach eigenen Angaben mit Raketen und Artillerie - „aus Solidarität“ mit der Hamas, wie die vom Iran unterstützte Miliz erklärte. Die israelische Armee antwortete mit Artilleriefeuer auf Stellungen im Südlibanon.

Netanjahu kündigte nach dem Großangriff der Hamas Vergeltung an und forderte alle Palästinenser zum Verlassen der Stadt Gaza auf. Israel stellte die Lieferung von Strom, Treibstoff und Waren in den Gazastreifen ein. Seit Samstag habe die Armee rund 500 Hamas-Ziele in dem Palästinensergebiet angegriffen, darunter die „militärische Infrastruktur, Wohnhäuser von Kommandeuren und Symbole des Hamas-Regimes“, sagte ein Sprecher.

Hunderte Menschen flohen im Norden des Gazastreifens mit Lebensmitteln und Decken aus ihren Häusern, wie ein AFP-Reporter berichtete. Auch im Westjordanland, einschließlich des annektierten Ostjerusalem, gab es Gewalt. Laut palästinensischem Gesundheitsministerium wurden dort sechs Palästinenser getötet und weitere 120 verletzt.

Dringlichkeitstreffen der Arabischen Liga beantragt

Die Palästinensische Autonomiebehörde beantragte ein Dringlichkeitstreffen der Außenminister der Arabischen Liga. Das berichtete die palästinensische Nachrichtenagentur WAFA. Grund sei die „brutale und anhaltende israelische Aggression gegen das palästinensische Volk einschließlich der Stürmung der Al-Aqsa-Moschee durch tausende Siedler“, zitiert die Agentur den palästinensischen Botschafter bei der Arabischen Liga, Muhannad al-Akluk.

Beobachter warnen vor einem Flächenbrand, sollten auch andere Gegner Israels wie der Iran oder die Hisbollah im Libanon den Kampf offen unterstützen. Am Samstag hatte die Hisbollah erklärt, in Kontakt mit den Anführern der Palästinenser zu sein. Ob der Angriff auf die Sheeba-Farmen eine weitere Eskalation und eine Ausweitung des Konflikts darstellt, blieb unklar. Israel beansprucht die Sheeba-Farmen, ein 15 Quadratkilometer großes Gebiet an der Grenze zum Libanon, seit 1967 für sich. Syrien und der Libanon sehen das Gebiet als libanesisch an.

Der palästinensische Botschafter in Wien, Salah Abdel Shafi, erklärte in einer schriftlichen Stellungnahme, die Ereignisse in und um Gaza müssten „als Resultat langjähriger Unterdrückung und israelischer Besatzung angesehen“ werden. „Ich bin schockiert darüber, dass europäische Politikerinnen und Politiker kein Wort des Bedauerns für die bei den jüngsten Angriffen auf Gaza mehr als 300 getöteten Menschen gefunden haben“, so der Botschafter - der umgekehrt kein Wort des Bedauerns über die Gewalt der Hamas äußerte.

USA schicken Flugzeugträger in die Region

US-Verteidigungsminister Lloyd Austin kündigte an, Washington werde der israelischen Armee zusätzliche Ausrüstung und Munition zur Verfügung stellen. Eine erste Lieferung werde noch am Sonntag auf den Weg gebracht und in den kommenden Tagen in Israel eintreffen.

Austin zufolge werden zudem der Flugzeugträger „USS Gerald R. Ford“ und seine Begleitschiffe in das östliche Mittelmeer verlegt. Auch die Zahl der Kampfflugzeug-Staffeln in der Region werde aufgestockt.

US-Präsident Joe Biden sicherte Israel die „felsenfeste und unumstößliche“ Unterstützung seines Landes zu. US-Außenminister Antony Blinken rief „alle Führungen in der Region“ auf, die Angriffe auf Israel zu verurteilen. Der iranische Präsident Ebrahim Raisi erklärte laut Staatsfernsehen hingegen, sein Land unterstütze „das legitime Recht der palästinensischen Nation auf Verteidigung“.

Zahlreiche Solidaritätsbekundungen aus westichen Ländern

Aus vielen westlichen Ländern kamen Solidaritätsbekundungen für Israel. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warnte zugleich vor einem „Flächenbrand“ in der Region und kündigte an, sich für Bemühungen um Vermittlung zwischen Israel und den Palästinensern einzusetzen. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sprach angesichts des Ausmaßes der Gewalt von einer „Zäsur“.

Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg und Jüdischen Gemeinde Graz, Elie Rosen, machte die EU für die Entwicklung mitverantwortlich: Mehr als acht Milliarden Euro habe allein die EU seit dem Osloer Abkommen an die Palästinischen Gebiete überwiesen und damit auch unweigerlich die Hamas unterstützt. Aufgrund der sich laufend verschlechternden Sicherheitslage hätten die Gelder nichts zur Verbesserung des Friedensprozesses beigetragen, sondern vielmehr die terroristische Mobilisierung vorangetrieben. (APA/Reuters/R)

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