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Soll man Bilder der misshandelten Shani Louk verbreiten?

Auf einem solchen Truck wurde die 22-jährige Israeli von den Hamas verschleppt (Symbolbild).
Auf einem solchen Truck wurde die 22-jährige Israeli von den Hamas verschleppt (Symbolbild).Oren ZIV/AFP
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Es sind abscheuliche Szenen aus Israel. Eine junge Frau wird vor laufender Kamera misshandelt, mehrere Männer grölen. Muss man diese Bilder sehen? Und zeigen?

Etliche Bilder vom Terrorangriff der Hamas auf Israel kursieren aktuell in den sozialen Netzwerken. Es dominiert aber das Video einer jungen Frau. Sie liegt mit dem Gesicht nach unten auf der Ladefläche eines Trucks. Männer bespucken sie, zerren an ihren Haaren, einer davon hat die Beine über ihren Kopf gelegt. Sie schreien „Allahu Akbar“, zu Deutsch „Allah ist größer“, dann rast der Wagen davon.

Mittlerweile ist bekannt, die Frau, das ist Shani Louk. Sie ist 22 Jahre alt, die Tochter einer deutschen Mutter und eines israelischen Vaters, und deutsche Staatsbürgerin. Ein Grund, warum vor allem deutsche Medien vermehrt über den Fall berichten. Ihr Schicksal ist gewiss kein Einzelfall. Dutzende Israelis wurden im Zuge der Militäroffensive der Hamas-Terroristen als Geisel genommen und verschleppt. Nicht von allen gibt es Bilder.

Am Sonntagabend, einen Tag nach dem terroristischen Überfall der Hamas aus Gaza, war das Video von Shani Louk vereinzelt verschwunden, etwa von der sozialen Plattform X. Nun wird die Verbreitung der Bilder – und die diesbezügliche Rolle der Medien – wieder vielerorts diskutiert. Sollen Medien diese Bilder zeigen? Soll man sie als Nutzerin von X, Instagram oder Facebook teilen?

Interesse versus Sensationsgier

Genau dort, auf jenen Plattformen, liest sich einiges dafür: Ein solches Video würde in Sekunden die Relativierungen von Einzeltätern und den „ebenfalls schlimmen Israelis“ entlarven, wie es Worte nie könnten. Und: Es entblöße nicht das Opfer, sondern die Täter. „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel verschreibt sich in einem Kommentar dem Interesse der Allgemeinheit, erinnert an Gräueltaten in Auschwitz, Buchenwald und Bergen-Belsen: „Wer hätte davon profitiert, wenn sich diese Bilder nicht ins kollektive Gedächtnis der Menschheit eingeschrieben hätten?“

Eine legitime Frage, waren es in der Vergangenheit doch immer wieder Bilder, die das Bewusstsein der Öffentlichkeit maßgeblich veränderten. Man denke an das Foto von Nguyễn Văn Lém, der vor den Augen der Reporter vom Polizeichef von Saigon erschossen wurde. Wohl aber muss die Frage dieser Tage neu bewertet werden, immerhin gab es anno 1945, und auch 1975, noch keine Netzwerke, die einem das Material ohne Kontext oder Vorwarnung in die Timeline spülten. Netzwerke, die auch jene beherbergen, die sich an grausamen Aufzeichnungen erfreuen. Und nicht immer führt solches Bildmaterial eine Wende in der öffentlichen Wahrnehmung herbei, manchmal folgt auf einen ersten Schock recht wenig.

Und hat nicht jeder Mensch Anspruch auf Achtung seiner Würde, auch über den Tod hinaus? Ein Veröffentlichen und Verbreiten gegen den Willen der Betroffenen verletzt deren Privatsphäre. Zudem gibt es einen eklatanten Unterschied zwischen dem Interesse der Allgemeinheit und der puren Sensationslust. Auf beiden Seiten: am Ende des Kanals die Schaulustigen, am Anfang jene, die um Klicks, Likes und Aufmerksamkeit buhlen. Die Wahrheit zu zeigen gehe auch ohne Bilder und Videos, so ein Gegenargument. Man solle nicht das tun, „was die Terroristen wollen: das Opfer demütigen, Angst verbreiten“.

Von Fall zu Fall

Freilich lässt sich im ganz speziellen Fall Shani Louk nun einhaken, die Mutter wisse nur wegen des Videos über den Zustand ihrer Tochter Bescheid. Beim letzten Kontakt hatte sie ihr geschrieben, sie würde einen Schutzort suchen, berichtete der „Spiegel“. Den Namen und die Staatsbürgerschaft zum Video machte die Familie öffentlich, in der Hoffnung, deutsche Behörden könnten eingreifen.

Soll man Bilder der misshandelten Shani Louk also verbreiten? Pauschale Antworten sind stets schwierig. Im Einzelfall gilt es abzuwägen, abseits ökonomischer und voyeuristischer Interessen. Im Idealfall werden Angehörige der Betroffenen mit einbezogen.

Im Übrigen hat auch die „Welt“ trotz des Kommentars pro Veröffentlichung das Video nicht verbreitet, lediglich einen Screenshot davon. Das Medium kann sich dieser Tage ganz offenbar auch der Frage nach der Publikation entziehen. Denn verbreitet werden die Inhalte sowieso im Netz. Ergo kann man sich darauf verlassen, dass Leserinnen und Leser die Bilder kennen. Klicks lassen sich folglich auch durch das bloße Bezugnehmen noch generieren.

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