Wort der Woche

Außergewöhnliche Wildschweine

Der Klimawandel bringt unter Lebewesen viele Gewinner und Verlierer mit sich. Und dann gibt es noch Arten, denen die globale Erwärmung offenbar ziemlich egal ist. 

Auch wenn es manche vielleicht noch nicht ganz glauben wollen – aber der lange Sommer mit seinen Temperaturrekorden geht nun doch zu Ende. Die fortschreitende Klimaveränderung hat auf uns und unsere Mitgeschöpfe mannigfaltige Auswirkungen. Medien sind derzeit voll von Berichten über problematischen Folgen: etwa dass der Klimawandel soziale Ungleichgewichte verschärft. Oder dass das Schelfeis in der Antarktis stark schrumpft, was u. a. bei Robben zu verändertem Fortpflanzungsverhalten führt. Oder dass Hopfen heute um zehn bis 35 Prozent weniger aromatische Alphasäuren enthält als noch vor 30 Jahren, wie ein Team um Martin Možný (Tschechische Akademie der Wissenschaften) nun dokumentiert hat (Nature Communications, 10. 10.).

Die Klimaerwärmung schafft freilich auch Gewinner. Etwa Insekten, die aus südlichen Gefilden immer weiter gen Norden vordringen – ich habe in Wien niemals zuvor so viele Gottesanbeterinnen gesehen wie heuer. Auch Pflanzen nutzen die milden Winter und heißen Sommer zur Ausweitung ihrer Lebensräume: Dies ist – zusätzlich zur Einschleppung – laut einer internationalen Gruppe um Zhijie Zhang (Uni Konstanz) mit Beteiligung von Forschern der Universität Wien einer der Hauptgründe für die Ausbreitung gebietsfremder Arten (Science Advances, 4. 10.).

Neben Verlierern und Gewinnern gibt es offenbar noch eine dritte Art von Lebewesen – nämlich jene, denen der Klimawandel ziemlich egal ist. Dazu zählen Wildschweine, wie nun Forschende der Veterinärmedizinischen Universität Wien um Thomas Ruf herausgefunden haben. In einer mehrjährigen Studie wurden 13 Bachen mit Temperatur- und Herzschlagsensoren ausgestattet. Die Ergebnisse zeigen klar, dass Wildschweine (deren Bestände in jüngster Zeit rapide wachsen) über außergewöhnlich wirksame Mechanismen zur Thermoregulation verfügen. Gegen Kälte sind dies v. a. biophysikalische und biochemische Prozesse, gegen Hitze vorwiegend Verhaltensänderungen (Journal of Comparative Physiology B, 5. 9).

Diese hohe Anpassungsfähigkeit ermöglichte den Schweinen, sich ausgehend von tropischen Inseln auf alle Kontinente (außer die Antarktis) auszubreiten. „Es würde uns nicht überraschen, wenn Wildschweine nur geringe Reaktionen auf den zunehmenden globalen Klimawandel zeigen würden“, lautet der – in wissenschaftlicher Redlichkeit vorsichtig formulierte – Sukkus der Forschenden.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

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