Interview

Ifo-Chef Clemens Fuest: „Diese Energiewende ist ein Hochrisikoprojekt“

„Es erscheint ziemlich verrückt, mitten in einer Energiekrise Kernkraftwerke abzuschalten“, sagt Ifo-Chef Clemens Fuest.
„Es erscheint ziemlich verrückt, mitten in einer Energiekrise Kernkraftwerke abzuschalten“, sagt Ifo-Chef Clemens Fuest.Clemens Fabry
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Es sei riskant, dass Deutschland sein Energiesystem abschalte, ohne zu wissen, ob die Alternative funktioniert, sagt Ifo-Chef Clemens Fuest. Dass die Autoindustrie zu spät auf Elektroautos gesetzt habe, stimme nicht.

Deutschland und Österreich werden heuer laut Prognosen in eine Rezession rutschen. Im europäischen Vergleich haben die beiden Län­der die schlechtesten Aussichten. Wie schlimm ist es? Manche fürchten, dass Deutsch­land wieder der „kranke Mann Europas“ werden könnte.

Clemens Fuest: Die Lage ist durchaus ernst. Es gibt hier zwei Entwicklungen, die sich überlagern. Auf kurzfristige Sicht spielt es eine Rolle, dass Deutschland stärker vom Krieg in der Ukraine betroffen ist als andere Länder, weil die wirtschaftlichen Verbindungen nach Mittel- und Osteuropa besonders stark sind. Das gilt auch für Österreich. Deutschland ist zudem in besonderer Weise vom Ende der Gaslieferungen aus Russland betroffen – aufgrund der Sprengung der North-Stream-Pipeline. Außerdem war während der Pandemie die Nachfrage nach Industriegütern relativ stark. Nun werden jedoch weniger Waren gekauft, weil viele Anschaffungen bereits getätigt worden sind. Hinzu kommt hier auch die Schwäche Chinas. All diese Punkte betreffen Deutschland mehr als andere Länder, weil es einen besonders starken Außenhandel hat. Das ist die kurzfristige Thematik.

Und langfristig?

Langfristig geht es vor allem um strukturelle Faktoren. Und wenn man sich die Industrieproduktion ansieht, dann fällt diese in Deutschland seit 2018 zurück. Hinter Österreich, aber auch hinter den Durchschnitt der Eurozone. Das hat sehr stark mit der Autoindustrie zu tun, die ja eine zentrale Branche in Deutschland ist. Das Problem ist, dass sich große Teile der Industrie mit der Dekarbonisierung schwertun. Parallel dazu verfolgt Deutschland eine sehr spezielle Energiepolitik. Anders als andere Länder stellen wir uns in dem Thema nicht breit auf, sondern konzentrieren uns nur auf den Ausbau der erneuerbaren Energieträger.

Die deutschen Exporte sind bereits drei Monate in Folge eingebrochen, stärker als von Ökonomen erwartet. Ist „made in Germany“ nicht mehr das Verkaufsargument, das es war?

Ich glaube, dass das Exportieren und Managen von internationalen Wertschöpfungsketten nach wie vor ein komparativer Vorteil der deutschen Volkswirtschaft ist. Es stimmt zwar, dass wir derzeit beim Export Schwächen haben. Aber ich glaube nicht, dass es sich hier um eine strukturelle Veränderung handelt. Manche Handelspartner werden derzeit vielleicht schwieriger. Gleichzeitig hat die deutsche Wirtschaft in der Vergangenheit bereits gezeigt, dass sie in der Lage ist, auch neue Märkte zu erschließen. Die Lieferketten werden sich also verändern, aber es ist nicht so, dass dieser Teil des Geschäftsmodells Deutschlands verschwindet.

Die Lohnkosten waren in Deutschland und Österreich immer schon hoch. Nun kommen auch hohe Energiekosten hinzu. Ist das für den Industriestandort verkraftbar?

Wie gut das verkraftbar ist und welche Folgen das hat, werden wir erst sehen. Es wird jedenfalls davon abhängen, wie sich Deutschland – und das gilt natürlich in gleicher Weise für Österreich – nun an diese Energieverknappung anpasst. Es ist ja nicht zu erwarten, dass insbesondere die Verknappung und somit auch Verteuerung von Gas in nächster Zeit rückgängig gemacht wird. Das wahrscheinlichste Szenario ist somit, dass Energie in Mitteleuropa dauerhaft teurer wird. Deshalb muss sich die Industrie umstrukturieren. Was wir hier derzeit nicht vorhersagen können, ist, ob es relativ leicht möglich ist, die energieintensiven Teile in den Wertschöpfungsketten auszugliedern. Also dass wir zum Beispiel Ammoniak importieren statt selbst herzustellen. Wäre dies mit einem überschaubaren Verlust an Wertschöpfung möglich, oder wandern dann ganze Wertschöpfungsketten ab? Letzteres wäre natürlich problematisch. Insofern können wir auch nicht sagen: Macht euch keine Sorgen, das klappt allein mit dem Ausgliedern der energieintensiven Prozesse. Das ist schon eine ernste Herausforderung. Und man muss hier auch klar sagen: Das ist ja ein Risiko, dass die Politik bewusst eingegangen ist. Denn die Verengung der Energiepolitik durch die Energiewende geschieht ja auch abseits der Ukraine-Krise.

Für Diskussionen sorgte etwa, dass mitten in der Energiekrise Atomkraftwerke abgeschaltet wurden, die etwa 35 Jahre alt sind, während ähnliche AKW in Frankreich oder der Schweiz 50 Jahre laufen. War das sinnvoll?

Eine Frage lautet hier natürlich: Wie bewertet man die Sicherheitsrisiken von Kernkraftwerken? Und die waren bei diesen Kraftwerken extrem gering. Es erscheint also schon ziemlich verrückt, sie dann mitten in einer Energiekrise abzuschalten. Und das ist aus meiner Sicht auch schwer zu rechtfertigen. Das Ganze relativiert sich zwar insofern, als es nur fünf bis sechs Prozent der deutschen Energieerzeugung waren. Aber es gibt Schätzungen, dass der Strom sich dadurch um fünf bis zehn Prozent verteuert hat. Und man hätte eigentlich darüber reden müssen, ob man nicht die kurz zuvor abgeschalteten Kernkraftwerke in dieser Notsituation wieder ans Netz bringen kann. Die zweite Frage lautet, ob man vor diesem geänderten Hintergrund nicht noch mal neu darüber nachdenken müsste, ob man wirklich aus der Kernenergie aussteigen will.

Es gibt mitunter die Kritik, dass eine grüne Dogmatik derzeit den wirtschaftlichen Pragmatismus schlägt. Wie sehen Sie das?

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