Interview

Mikl-Leitner: „Es gibt das große Interesse, dass die Menschen mehr arbeiten“

Ist für Wahlfreiheit in der Kinderbetreuung: Niederösterreichs Landeshauptfrau Mikl-Leitner (ÖVP).
Ist für Wahlfreiheit in der Kinderbetreuung: Niederösterreichs Landeshauptfrau Mikl-Leitner (ÖVP).Clemens Fabry
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Die Politik müsse Maßnahmen setzen, damit Menschen, die wollen und können, mehr und länger arbeiten, sagt Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner. Die Erhöhung der CO2-Bepreisung müsse ausgesetzt werden.

Die Presse: Haben Sie das „Burger“-Video gesehen?

Ja, ich kenne die Kurz- und die Langfassung.

Und was ging Ihnen durch den Kopf, während Sie es sich angesehen haben?

Dass es bewusst zusammengeschnitten wurde.

Bundeskanzler Karl Nehammer wurde dafür kritisiert, dass er sagte, Eltern, die wenig Geld haben, sollen mehr Wochenstunden arbeiten und mit ihren Kindern zu McDonalds essen gehen. Hat er sich im Ton vergriffen?

Ich glaube, er würde es heute anders formulieren. Wir sind ein sehr wohlhabendes Land, aber jede von Armut betroffene Familie ist eine zu viel. Daher ist es gut, dass die Indexierung der Familienbeihilfe und der Sozialleistungen stattgefunden hat und wir in Nieder­österreich für die Kinder das Schulstartgeld und für einkommensschwächere Familien den Wohnkostenzuschuss auf den Weg gebracht haben. Das sind über 60 Millionen Euro zusätzlich zu bestehenden Bundes- und Landesförderungen sowie Sozialleistungen. Für mich ist es wichtig, dass wir Armut zielgerichtet bekämpfen, aber auch Maßnahmen setzen, damit Menschen, die wollen und können, mehr und länger arbeiten. Zum Beispiel unsere Kinderbetreuungsoffensive. All das sind Dinge, die den Familien helfen.

Der Bundeskanzler ärgert sich in dem Video auch darüber, dass so viele Menschen in Teilzeit arbeiten. Er spricht explizit Frauen an, die keine Betreuungspflichten haben. Teilen Sie seinen Furor?

Entscheidend ist, dass es die Wahlfreiheit gibt, ob jemand in Teilzeit arbeitet oder in Vollzeit. Das ist den Frauen selbst überlassen. Aber ja, wenn man keine Betreuungspflichten hat und mehr Geld benötigt, dann gibt es in Zeiten des Mitarbeitermangels viele Firmen, die sich freuen, wenn mehr Wochenstunden geleistet werden und dies wird auch entsprechend entlohnt.

Ist der Trend zur Teilzeitarbeit ein Problem?

Seitens der Betriebe gibt es natürlich das große Interesse, dass die Menschen mehr arbeiten und nicht weniger. Wir sehen, dass uns an allen Ecken und Enden die Hände ausgehen. Diese Mehrarbeit muss sich natürlich auch lohnen. Ich denke, dass hier ganz konkrete Maßnahmen helfen können. Vor allem Überstunden müssen sich auszahlen. Die Regierung hat die steuerbefreiten Überstunden von zehn auf 18 im Monat aufgestockt. Darüber hinaus gibt es viele Pensionisten, die gerne zur Pension, die sie sich hart erarbeitet haben, etwas dazuverdienen möchten. Hier wäre es sinnvoll, wenn sie von den Pensionsbeiträgen befreit würden. Das ist nur gerecht.

Die Regierung hat 4,5 Milliarden Euro Investitionen in die Kinderbetreuung angekündigt, damit sollen 50.000 Betreuungsplätze geschaffen werden. Wie viel von diesem Geld wird nach Niederösterreich fließen?

Das wird erst verhandelt. Ich werde mich jedenfalls dafür einsetzen, dass möglichst viel Geld nach Niederösterreich fließt. Aber unabhängig von der Offensive des Bundes setzen wir in Niederösterreich das größte familienpolitische Paket der Geschichte Niederösterreichs um und investieren bis 2027 ganze 750 Millionen Euro in den Ausbau der Kinderbe­treuung. Damit schaffen wir die Möglichkeit, die Kinder bereits ab zwei Jahren im Kindergarten zu betreuen und erweitern die Öffnungszeiten.

Aber viele der Plätze sind derzeit nicht mit einem Vollzeitjob kompatibel: In Wien sind es 90 Prozent, in Niederösterreich nur 44 Prozent. Bis wann wird sich das ändern?

Entscheidend ist, im Sinne des Ressourcenmanagements zu schauen, zu welchen Zeiten es die Kinderbetreuung braucht. Das bedeutet: Angebot schaffen und ausbauen, wo Bedarf besteht. Das entscheiden natürlich die Familien gemeinsam mit den Gemeinden. Wir haben natürlich in Niederösterreich eine andere Situation als in Wien, denn wir sind ein Flächenbundesland. Es wird nicht möglich sein, dass in einer Gemeinde mit beispielsweise fünf Kindergärten alle von sieben bis 18 Uhr offen haben. Wir müssen uns vor allem darauf fokussieren, wie wir die Randzeiten abdecken können.

»Es wird nicht möglich sein, dass in einer Gemeinde
mit fünf Kindergärten
alle von sieben bis 18 Uhr offen haben. «

Johanna Mikl-Leitner

Landeshauptfrau Niederösterreich

Die ÖVP hat sich reichlich Zeit gelassen in Österreich mit dem Ausbau der Kinderbetreuung. Es ist etwas auffällig, dass es jetzt so plötzlich funktioniert, wo die Unternehmen dringend Fach- und Arbeitskräfte brauchen.

Für mich stehen selbstverständlich die Bedürfnisse der Kinder und Familien an erster Stelle. Deshalb verbessern wir in Niederösterreich seit vielen Jahren das Kinderbetreuungsangebot. Jede Familie soll individuell entscheiden, ab wann sie das in Anspruch nehmen möchte. Wir freuen uns jedenfalls, dass jetzt auch der Bund mehr Geld im Zuge des Finanzausgleichs auf den Tisch legt, um die Gemeinden zu unterstützen.

Die Inflation sinkt, aber sie ist mit zuletzt 6,1 Prozent immer noch hoch. Was ist Ihr Eindruck in Niederösterreich: Kommen die Menschen damit zurecht, auch dank der vielen staatlichen Hilfen, oder ist es eine große Belastung?

Die Inflation ist für jede Familie und jeden Arbeitnehmer eine riesige Herausforderung. Die Bundesregierung hat viel getan, um das abzufedern und die Kaufkraft zu erhalten. Aber es ist vor dem Hintergrund der Teuerung weiterhin wichtig, Maßnahmen zu setzen.

Einige Unterstützungsleistungen sind bereits ausgelaufen – wie die erhöhte Pendlerpauschale. Sie waren sehr dafür, dass sie dauerhaft höher bleibt. Gibt es darüber noch Verhandlungen mit dem Bund?

Als Landeshauptfrau eines Flächenbundeslandes habe ich damals meinen Standpunkt deutlich gemacht, dass die Pendlerpauschale erhöht bleiben sollte. Aber was auf alle Fälle jetzt wichtig ist: Der Preissprung bei der CO2-Bepreisung kommt zur Unzeit. Er belastet die Pendler und befeuert die Inflation. Wenn jetzt die nächste Erhöhung kommt, werden viele am Ende des Monats nicht wissen, wie sie ihren Tank befüllen und mit dem Auto zu ihrem Arbeitsplatz fahren sollen. In einem Flächenbundesland sind die Menschen auf das Auto angewiesen. Die Erhöhung muss ausgesetzt werden, bis die Inflation auf ein Niveau von rund zwei Prozent gesunken ist.

Die Bundes-ÖVP hat schon abgewunken und gesagt, die CO2-Preisererhöhung kommt. Das Thema ist offensichtlich durch.

Mir ist bewusst, dass die ÖVP in keiner Alleinregierung ist, sondern in einer Regierung mit den Grünen. Aber die Inflation ist hoch, wir befinden uns in einer Rezession. Daher fordere ich, dass man nicht aus parteipolitischen Gründen auf einer Maßnahme beharrt, obwohl sich die Rahmenbedingungen seit der Einführung deutlich geändert haben.

Aber es wurde ja der Klimabonus eingeführt, um die CO2-Bepreisung zu kompensieren. Und am Land bekommen die Menschen einen höheren Klimabonus als in der Stadt.

Ja, aber es geht dennoch darum, dass Sprit ein großer Preistreiber ist. Das trifft die Pendler, die Wirtschaft und letztendlich auch die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen. Daher ist es jetzt der falsche Zeitpunkt.

Falls die Regierung an der Erhöhung festhält, werden Sie in Niederösterreich neue Unterstützungszahlungen auflegen?

Wir sollen durch Landesförderungen die Steuererhöhungen des Bundes abfedern? Das ist absurd. Aber alles, was wir seitens des Landes tun können, tun wir. Wir helfen dort, wo es am meisten gebraucht wird: im untersten Einkommensdrittel. Deshalb gibt es ab Herbst einen Wohnkostenzuschuss für genau diese Personengruppe. Der wird unbürokratisch und rasch überwiesen, wie schon der Heizkostenzuschuss.

»Wir sollen durch Landesförderungen die Steuererhöhungen des Bundes abfedern? Das ist absurd. «

Johanna Mikl-Leitner

Landeshauptfrau Niederösterreich

Werden Sie auch den niederösterreichischen Strompreisrabatt neu auflegen? Experten kritisierten damals, dass doppelt gefördert wird. Denn es gab ja bereits die Strompreisbremse im Bund.

Viel wichtiger ist, dass die EVN bereits begonnen hat, ihre Energiepreise zu reduzieren. Das war eine Forderung der Landesregierung, dass das schnell gehen muss. Damit die billigeren Großhandelspreise rasch bei den Konsumenten ankommen. Und die Strompreisbremse auf Bundesebene gibt es ja auch noch.

Einige Länder legen bei der Energiewende den Rückwärtsgang ein – zum Beispiel Großbritannien. Soll Österreich sich ein Beispiel nehmen?

Es braucht jetzt eine Politik mit Hausverstand, wo wir Ökonomie und Ökologie nicht gegeneinander ausspielen, sondern verbinden. Es hat auch keiner etwas davon, wenn sich Europa zu einer grünen NGO entwickelt und nicht mehr wettbewerbsfähig ist. Es geht darum, die Produktionsbetriebe bei uns zu halten. In diesem Zusammenhang ist auch der Energiekostenzuschuss 2 ganz wichtig. Der wurde bereits im letzten Jahr versprochen und ist bis heute nicht da, weil die Grünen blockieren. Da sage ich ganz klar, das ist grob fahrlässig. Weil die Firmen teilweise an ihrer Existenzgrenze sind. Die Unternehmen brauchen Sicherheit, sonst wird es zu einem Verlust vieler Arbeitsplätze kommen.

Austria‘s Leading Companies Award

Das Interview wurde im Rahmen des Austria‘s Leading Companies Award geführt.

„Austria‘s Leading Companies“ wird von der „Presse“-Redaktion in voller Unabhängigkeit gestaltet und erscheint in Kooperation mit dem KSV1870 und PwC Österreich.

ALC wird unterstützt von A1, Casinos Austria, Commerzbank, Donau Versicherung und Wiener Städtische Versicherungsverein, Post AG, PSA, Škoda, TÜV Austria sowie MVG und Zero Project.

Zu allen Veranstaltungen: www.diepresse.com/alc

Zur Person

Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) ist seit 2017 Landeshauptfrau von Niederösterreich. Die gebürtige Weinviertlerin ist seit 1999 in der Politik, zuerst als Nationalratsabgeordnete und von 2011 bis 2016 als Innenministerin. Mikl-Leitner studierte Wirtschaftspädagogik. Sie lebt in Klosterneuburg.

 

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