Junge Forschung

Wovon Staatsverweigerer träumen

„Philosophische Konzepte für Pseudoideologien zu verwenden, wie es die Reichsbürger tun, ist gefährlich“, sagt Marlon Possard von der FH Campus Wien.
„Philosophische Konzepte für Pseudoideologien zu verwenden, wie es die Reichsbürger tun, ist gefährlich“, sagt Marlon Possard von der FH Campus Wien. Clemens Fabry
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Der Rechtsphilosoph Marlon Possard durchleuchtete ethische Dilemmata rund um Bilanzfälschungen und widmet sich aktuell den Utopien der Reichsbürgerbewegungen.

Den Menschen hinter Gesetzen sehen – das will der Tiroler Spross einer Gastronomiefamilie Marlon Possard. „Ich gehörte zu den Kindern, die nicht aufhörten, Fragen zu stellen.“ Damit kommentiert er die Frage danach, warum es ihn in die Wissenschaft verschlagen habe. Seine Eltern hätte es gern gesehen, dass er den Betrieb übernimmt. „Auf der Universität habe ich schnell gemerkt: Hier bin ich richtig.“

Possard hat Verwaltungswissenschaften, Rechtswissenschaften und Philosophie studiert. Seine Doktorarbeit schrieb er an der Uni Innsbruck zum juristischen und ethischen Umgang mit Bilanzfälschungen, also zu dem Spannungsverhältnis zwischen Recht und Moral. „Angestellte wünschen sich verbindliche Ethikkodizes, sie wünschen sich Hilfestellungen, wie sie mit ethischen Dilemmata umgehen sollen“, fasst er ein Ergebnis der Untersuchung zusammen, in der er sich konkret mit dem burgenländischen Commerzialbank-Skandal auseinandergesetzt hat. Meist werde lediglich das Strafrecht als Messlatte herangezogen. „Im Fall der Commerzialbank wussten die Betroffenen viel, aber sie wollten es nicht wahrhaben, weil sie ihren Arbeitsplatz gefährdet sahen oder psychischer Druck auf sie ausgeübt wurde. Sie litten sehr unter den Machtverhältnissen.“

Demokratien sind Feindbilder

Seit September lehrt und forscht der 28-Jährige an der Fachhochschule (FH) Campus Wien am Department für Verwaltung, Wirtschaft, Sicherheit und Politik. In seinem aktuellen Projekt, der Habilitation, analysiert Possard die Utopien der Reichsbürgerbewegung in Österreich und Deutschland sowie ihre Beziehung zu Staat, Recht und Verwaltung. Die Szene ist heterogen, gemeinsam ist ihren Vertreterinnen und Vertretern, dass sie die jeweiligen Staaten und damit deren Rechtsordnung nicht anerkennen. Possard: „Sie rufen ihren eigenen Staat aus oder beziehen sich auf das Deutsche Reich, das ihnen zufolge noch Fortbestand hat.“ Die Bewegungen seien ein Auffangnetz für Menschen, die anfällig für Verschwörungstheorien sind. „Da kommen Esoterik, Spiritualität und Existenzängste zusammen.“ Eine gewisse Prominenz erlangte der Staatenbund Österreich, dessen „Präsidentin“ 2020 zu zwölf Jahren Haft verurteilt wurde. In Deutschland war erst Ende vergangenen Jahres eine zentrale Figur der rechtsterroristischen Gruppierung Patriotische Union festgenommen worden. Nach und nach kommt ans Licht, dass den Bewegungen auch Menschen angehören, die in Staatsnähe etwa bei der Polizei arbeiten – ein zunehmendes Problem für den Staatsschutz.

»Reichsbürgerinnen und Reichsbürger lehnen das Recht ab, beschäftigen sich aber gleichzeitig sehr intensiv damit. «

„Die Beteiligten vernetzen sich über Social Media international besser denn je“, sagt Possard, der auch Mitglied der Forschungsgruppe Extremismus/Terrorismus des Kölner Forums für Internationale Beziehungen und Sicherheitspolitik ist. Er will die staatsfeindlichen Ordnungen aus juristischer und rechtsphilosophischer Sicht durchleuchten. „Die Reichsbürger greifen auf ein Sammelsurium aus naturrechtlichen und philosophischen Konzepten wie den absolutistischen Gedanken von Thomas Hobbes zurück, verfälschen diese aber in ihrer Argumentation völlig, um sich zu legitimieren.“ Den Forscher interessiert die Widersprüchlichkeit zwischen Ablehnung des Staats und Ausrufung eines eigenen Staats, der in seiner Organisiertheit der bestehenden Demokratie gleicht. „Ich sehe darin einen auf staatliche Strukturen bezogenen Plagiatismus. Die Reichsbürger haben eigene Pässe und Kfz-Kennzeichen, es gibt eine Präsidentin und Landverwalter. Sie bedienen sich beim Recht und sind keine juristischen Laien.“

Rettungsfahrten zum Ausgleich

An den Wochenenden ist der Rechtsphilosoph als ehrenamtlicher Sanitäter bei der Notfallrettung unterwegs, „damit ich den Kopf freibekomme“. Possard muss schmunzeln. Hat er doch bei einem Einsatz vor einigen Jahren auch seinen Partner, einen Arzt, kennengelernt, wie er verrät. Darüber hinaus ist er als Freiwilliger in der Krisenintervention tätig: „Ich möchte den Menschen etwas zurückgeben, was ich in meiner behüteten Kindheit immer hatte: Sicherheit.“

Zur Person

Marlon Possard (28) hat Verwaltung, Recht und Philosophie in Innsbruck, Wien und London studiert. Er promovierte an der Uni Innsbruck zum juristischen und ethischen Umgang mit Bilanzfälschungen. Seit September ist er Postdoc-Forscher an der FH Campus Wien am Kompetenzzentrum für Verwaltungswissenschaften (Rias).

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