Interview

Dirigentin Wincor und Komponistin Geißelbrecht: „Natürlich sind Traditionen wichtig“

Katharina Wincor (li.) und Flora Geißelbrecht kennen einander seit Kindheitstagen.
Katharina Wincor (li.) und Flora Geißelbrecht kennen einander seit Kindheitstagen.Caio Kauffmann
  • Drucken

Dirigentin Katharina Wincor und Komponistin Flora Geißelbrecht sind sich einig: Die Frauen ihrer Generation haben aufgeholt. Ein Gespräch über despotische Männer, künstlerische Spiritualität und warum es ohne Tradition nicht geht.

Die Presse: Ich wusste nicht, dass Sie einander kennen. Woher denn?

Katharina Wincor: Wir haben beide mehreren Kinder- und Jugendorchestern des oberösterreichischen Musikschulwerkes gespielt. Aber wir haben uns seit etwa zehn Jahren nicht mehr gesehen. Flora Geißelbrecht: Du warst auch einmal bei den Bratschen oder? Wincor: Als ich noch in der Volksschule war, war das tatsächlich der Fall. später war ich mit der Oboe dabei.

Sie haben ja zunächst Geige gespielt. Warum ist es dann die Bratsche geworden?

Geißelbrecht: Bei den Geigen braucht man mehr Ellenbogen. Da gab es im Jugendorchester Kämpfe, wer die Soli spielen, wer wo sitzen und wer den Konzertmeister machen darf. Bei den Bratschen war das kein Thema.

Sie haben ein Master-Studium Viola. Jetzt lernen sie Instrumente autodidaktisch?

Geißelbrecht: Man kann ja nicht alles studieren. Vor allem, wenn man spät damit anfängt. Ich lerne selber Harfe und nehme Gesangsstunden. Wenn man ein Instrument schon kann, braucht es Wochen, bis man einen weiteren Fortschritt bemerkt. Wenn man etwas neu anfängt, dann ist die Lernkurve noch sehr steil. Das macht Spaß.

Und wie sind Sie Dirigentin geworden?

Wincor: Die Motivation dahinter war ähnlich: Ich wollte etwas Neues ausprobieren. Im Unterschied zu Flora habe ich mit der Zeit aber alle Instrumente weggelegt, weil ich nicht mehreres auf hohem Niveau machen konnte. Erst mit dem Beginn des Studiums habe ich mich intensiver mit dem Dirigieren beschäftigt.

Das muss man auch erst ausprobieren.

Wincor: Ja, natürlich. Beim Dirigieren ist es aber so, dass es zumindest in Österreich keine Ausbildung für Kinder und Jugendliche wie bei den Instrumenten gibt. Sogar Komposition wird an einzelnen Musikschulen angeboten. Wenn man dirigieren will, dann muss man sich zunächst selbst seine Möglichkeiten suchen. Erst mit dem Studium gibt es eine reguläre Ausbildung.

Warum gibt es so wenige Dirigentinnen?

Wincor: Das ist nur eine Frage der Zeit. In meiner Generation ist das Verhältnis zwischen Männern und Frauen unter den Profis und an den Hochschulen ausgeglichen. Aber wir müssen uns alle erst entwickeln, Erfahrungen sammeln, besser werden, um uns etablieren zu können. Das liegt allerdings an jedem einzelnen.

Muss man als Frau bestimmter sein, um sich durchzusetzen?

Wincor: In meinem Beruf ist es eher eine Frage der Erfahrung. Wenn man ganz unerfahren vor einem Orchester steht, und das muss man irgendwann, dann wird man sich genau überlegen, wie man vorgeht. Auch das hat nichts mit dem Geschlecht zu tun. Geißelbrecht: Und wir stammen ja aus einer Generation, wo es nicht mehr der Fall ist, dass wir als Frauen die ,Aliens‘ wären in dem, was wir machen.

Katharina Wincor (*1995) studierte in Wien und Zürich Dirigieren. Bereits mit 24 wurde sie Assistentin von Fabio Luisi beim Dallas Symphony Orchestra, später von Iván Fischer beim Budapest Festival Orchestra. Derzeit arbeitet sie freiberuflich.

Flora Geißelbrecht (*1994) hat ein Master-Studium Viola. Sie ist Komponistin, Interpretin, Improvisatorin und Texterin. U. a. haben Styriarte, Donaufestwochen und der Arnold-Schönberg-Chor Werke bei ihr in Auftrag gegeben und uraufgeführt.

Gibt es Unterschiede im Führungsstil?

Wincor: Ich habe unter den Dirigenten sowohl bei Frauen als auch bei Männern im Führungsstil und künstlerisch alles erlebt. Sowohl bei sehr erfahrenen als auch bei jungen Dirigenten. Im Allgemeinen hat sich der Führungsstil in den vergangenen Jahrzehnten aber doch etwas verändert. Geißelbrecht: Man trifft schon despotische Leute. Ich habe mit Machos und Narzissten zu tun gehabt, Dirigenten wie Komponisten, gegen die man sich behaupten muss. Das sind fast immer Männer. Weil die Leute in Machtpositionen nach wie vor meistens Männer sind. Aber das ist stark im Wandel begriffen und auch eine Frage dessen, was Macht mit einem macht.

Bis dato wird zwischen E- und U-Musik unterschieden. Macht das noch Sinn?

Wincor: E-Musik ist ein Begriff, der mir schon lange nicht begegnet ist. Vielleicht ist der abgekommen? Geißelbrecht: Nein. Ich bewege mich ja im Grenzbereich, derzeit zwischen Jazz und zeitgenössischer Musik. Stücke, die einen Groove haben, werden gerne abgestempelt: Da heißt es dann, das ist keine E-Musik. Wenn Musiker in Jazz sehr innovativ sind, haben sie es trotzdem oft schwer, was die Wahrnehmung als ernste Musik angeht.

Wieso?

Geißelbrecht: Bei der Verwertungsgesellschaft AKM hat E-Musik dreimal so viel Wert wie U-Musik, wenn sie aufgeführt wird. Was E und was U ist, entscheidet die AKM. Jedes einzelne Stück wird eingestuft. Ich werde bei jeder meiner Kompositionen nach der Partitur gefragt. Aber je mehr sich E und U vermischen, desto weniger machen diese Kategorien Sinn.

Sie arbeiten viel mit Improvisation. Warum ist Ihnen das wichtig?

Geißelbrecht: Ich liebe Improvisation, weil ich da sehr direkt in den künstlerischen Austausch treten kann. Wenn man einander im künstlerischen Miteinander abtastet und Gemeinsamkeiten entdeckt, dann sind das magische Momente. Das ist meine Art von Spiritualität, die ich in meinem Leben habe.

Ist Österreich ein gutes Biotop, um Musikerin zu werden?

Wincor: Das kommt darauf an. Nicht in jedem Bundesland gibt es eine Musikschul-Dichte wie in Oberösterreich. Das ist schade. Im Profibereich gibt es sehr viele Möglichkeiten. Vor allem in Wien. Erstaunlich finde ich, dass es keinen Profi-Konzertchor mehr gibt wie früher den Rundfunkchor des ORF. In Deutschland gibt es so etwas in mehreren Städten. Geißelbrecht: Wir können glücklich sein über die Förderlandschaft, insbesondere in Wien. Aber man kann ja auf hohem Niveau jammern: Es wird nach Bereichen unterschiedlich gefördert. Vom Jazz, der für mich ein neues Feld ist, höre ich, dass er konstant unterfördert ist. Während hingegen die zeitgenössische klassische Musik und die Klassik im Allgemeinen schon sehr gut gefördert sind. Aber Österreich bietet auf jeden Fall eine gute Ausgangsbasis für musikalisches Tun.

Sind Traditionen in der Musik wichtig?

Geißelbrecht: Ich komme aus der klassischen Tradition der Bratsche – von dort kommt auch meine Liebe zur Musik. Und wahrscheinlich merkt man das auch an meinen Kompositionen. Wincor: Natürlich sind Traditionen wichtig und überall vorhanden. Es gibt sie in jedem Orchester und in jedem Land. Ich freue mich, von mehreren solcher großen Traditionen beeinflusst worden zu sein. Vor allem durch meine Arbeit in Amerika und ganz besonders durch die Erfahrung als Assistentin des Budapest Festival Orchestras.

Was sind Ihre nächsten Projekte?

Wincor: Ich probe gerade am Tiroler Landestheater Puccinis „La Bohème“. Am 18. November ist Premiere. Geißelbrecht: Ich versuche mir immer neue Felder zu erschließen und sie in mein Tun zu integrieren. Zuerst die Bratsche, dann die Komposition, das Singen und ein Soloprojekt, in dem auch Bewegung eine Rolle spielt. Derzeit arbeite ich mit zwei Kollegen an einem multisensorischen Konzertformat, das versucht, alle Sinne anzusprechen: EiGenKlang soll ein interdisziplinäres Gesamtkunstwerk Werden. Es hat am 19. Jänner im Reaktor Premiere.

Land der Jungen?

Klima, Arbeit, Beziehungen: Unsere Lebensweise steht zur Diskussion. Was will die junge Generation? Ein „Presse“-Schwerpunkt zum Nationalfeiertag.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.