Spectrum

Wenn Radek Knapp beim Friseur 100 Złoty zahlt und der Friseur über Kaczyński schimpft

<strong>Wisst ihr, wie der letzte Pole heißt, der seine Stimme abgegeben hat?</strong> Michal Wittelsbach. Ein deutscher Name.
Wisst ihr, wie der letzte Pole heißt, der seine Stimme abgegeben hat? Michal Wittelsbach. Ein deutscher Name. Foto: Imago/Jan Graczynski
  • Drucken

„80 Prozent von uns sind zur Wahl gegangen“, sagt ein junger Pole mit Glatze. „Wir sind so
richtig analog bis drei Uhr früh vor den Wahllokalen angestanden.“ Ich verstehe. Aber was macht er beim Friseur?

Warschau: Eine Woche nach der Nationalratswahl in ­Polen gehe ich zu Herrn ­Jacek, meinem Friseur. Ich bin gespannt, wie er feiert. Schließlich hat sein Favorit die Wahl gewonnen. Herr Jacek gab Donald Tusk seine Stimme, weil Jarosław Kaczyński Tusk beleidigt hat. „Rothaarigen Typen darf man nicht trauen“, hat der PiS-Anführer im Wahlkampf behauptet. Herr Jacek ist selbst rothaarig.

Ich nehme Platz, und Herr Jacek macht sich gleich über mich her. „Haben Sie das gehört?“, legt er ungefragt los. „Eine Woche ist erst um, und Kaczyński zeigt schon sein wahres Gesicht. Gestern hat er gesagt, dass das Volk von Natur aus undankbar ist. Er hätte uns zu viel Freiheit geschenkt. Wir durften sogar einen Oppositionsfernsehsender haben, und das sei der Dank!“  

Herr Jacek hantiert mit der Schere gefährlich nah an meinem Ohr herum: „Und das ist nicht alles. Jetzt kam heraus, dass die PiS die ganze Opposition abgehört hat. Mit Pegasus. Den sie von den Israelis geklaut haben. Welcher Arzt verschreibt diesem Typen seine ­Pillen?“ Da ich die Antwort nicht kenne, schweige ich erst einmal.

Der weibliche Goebbels

Herr Jaceks Ärger lockt eine Dame aus der Reserve, die zwei Stühle weiter mit Lockenwicklern sitzt: „Wie nett auf einmal das Fernsehen zu den Oppositionellen ist!“, sagt sie, während sie sich im Spiegel betrachtet: „Früher haben sie keinen zu Wort kommen lassen. Und jetzt haben sie sogar Donald Tusk eingeladen. Frau Holecka hat ihm die ganze Zeit zugelächelt.“

Danuta Holecka wird in Polen als der weibliche Goebbels bezeichnet und ist die Symbolfigur des Propagandafernsehens. Gerade kam heraus, dass ihr Jahresverdienst umgerechnet 500.000 Euro beträgt.

„Kein Wunder, dass sie gelächelt hat“, redet Herr Jacek weiter. „Donald Tusk hat an­gekündigt, den ganzen Laden aufzulösen. 500 Schmarotzer fliegen mit einem Schlag raus. Angeblich hat Kaczyński versprochen, sie alle bei sich aufzunehmen. Er will jetzt einen eigenen Sender aufmachen. Interessant, woher er das Geld nimmt. Orlen kann man nur einmal klauen.“

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.