Gastkommentar

Kriege, Gefahren, aber noch mehr Chancen

Tod und Zerstörung in Gaza-Stadt. Nach dem Terrorüberfall der Hamas auf Israel droht der Nahostkonflikt zu eskalieren.
Tod und Zerstörung in Gaza-Stadt. Nach dem Terrorüberfall der Hamas auf Israel droht der Nahostkonflikt zu eskalieren.Imago/Rahmi
  • Drucken

Es entsteht eine neue Weltordnung, die viele Gefahren birgt und enorme Herausforderungen mit sich bringt. Doch in dieser Phase der Disruption entstehen neue Chancen. Europa sollte sie nutzen.

Wir stehen vor einer Änderung der Weltordnung, die alte Bipolarität mit einem starken Amerika und einer aggressiven Sowjetunion ist vorbei. China will an die Spitze zurück, aber es werden immer mehr Probleme sichtbar: schrumpfende Bevölkerung, Grenzkonflikte, Uiguren. Europa nützt seine Chancen nicht, Nationalismus greift um sich, Innovationen gibt es zu wenig. Afrika und Indien haben eine stark wachsende Bevölkerung, aber auch viele alte und neue Probleme.

Neuer Populismus tritt auf.  In den USA nicht nur durch Donald Trump, der bei verlorenen Wahlen das Ergebnis nicht anerkennt, sondern auch im Beharren auf fossilen Energien, während Überschwemmungen und Hitze der Bevölkerung schwer schaden. China wird als neuer Gegner, Globalisierung als Fehler gesehen. Lieferketten sollen nur noch mit nahen Partnern bestehen und Vorprodukte aus befreundeten Ländern kommen. Lateinamerika wendet sich vom Westen ab, weil sich die USA zugunsten rechter Autokraten eingemischt hat, jetzt begreifen sich die Länder als Teil eines neuen Südens.

In Europa ist die Lage sehr unterschiedlich, Ungarn ist nationalistisch, der Westbalkan wartet auf EU-Angebote, ohne eigene Probleme zu lösen. Der Krieg in der Ukraine hat die Populisten in Polen zurückgedrängt und Schweden sowie Finnland zum Nato-Beitritt veranlasst. In Deutschland führt die rechte AFD in einigen Ländern besonders im Osten, in Österreich hat eine nationale Partei in allen Prognosen die Mehrheit. In Italien und Spanien gibt es eine leichte Abkehr vom Populismus, nationale Spaltungen werden etwas geringer. Der EU-Austritt ist kein Thema mehr.

Lebenserwartung steigt

Langfristig gibt es in den meisten entwickelten Ländern eine Erhöhung der Lebenserwartung und eine verringerte Armut. Eine Ausnahme sind die USA, wo die Lebenserwartung durch Drogen und falsche Ernährung sinkt. Aber die Verbesserungen werden nicht gesehen, weil die Unsicherheit und das „Wir gegen die anderen“ größer werden. Immer mehr wird „Wir sind nach oben gekommen, jetzt nehmen uns die anderen wieder alles weg“ betont. Nicht Freude an dem Neuen überwiegt, sondern Angst, das wieder zu verlieren, was gewonnen wurde. In den Entwicklungsländern sind Fortschritte teilweise durch Covid, aber auch durch interne Konflikte beschränkt.

Besser wäre es für Europa, die Chancen zu betonen. Ja, es geht uns besser, ja die Immigration hilft, wenn man sie steuert. So wird Europa stärker und besser, durch Innovationen, durch offene Grenzen, durch Wachstum gemeinsamer Nachbarn. Dies würde den Hunger in Afrika vermindern und seine Innovationskraft heben.  Gemeinsam können wir so an der neuen Weltordnung teilhaben und Klimaprobleme reduzieren. Auch wenn die Welt diverser wird.

An den Krieg in der Ukraine hat man sich fast gewöhnt. Die Schuld liegt eindeutig beim Aggressor Wladimir Putin, wir wollen davon absehen, dass sich Russland durch die Nato eingeengt gefühlt hat, das ist durch die Aggression auf der Krim und nach dem Überfall auf die Ukraine nicht besser geworden. Täglich sterben Menschen an der Ostgrenze Europas.

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.
>>> Mehr aus der Rubrik „Gastkommentare“

Der Krieg durch den Angriff der Hamas ist auch nicht zu rechtfertigen. Aber die Wut der Nachbarn ­Israels wäre geringer, gäbe es den angedachten Palästinenserstaat, würden nicht Siedlungen von Israel auf dem Gebiet, das die Palästinenser beanspruchen, ständig ausgeweitet, gäbe es nicht eine Beteiligung rechtsreligiöser Parteien an der Regierung Netanjahus (der damit auch Anzeigen gegen ihn und seine Schuld in den Hintergrund schiebt). Jetzt müssen wir alle wieder gegen die Araber sein und Israel helfen, dem reichsten und innovativsten Land mit dem besten Geheimdienst. Außerdem braucht der Krieg Waffen, das reduziert Innovationen und Investitionen Europas zur Eingrenzung des Klimawandels; die Zahl der Hitzetoten steigt. Und der langsame Friedensprozess im arabischen Raum wird angehalten.

Wir müssen in Sicherheit und Waffen investieren, haben kein Geld, die Armut bei uns zu reduzieren und neue ökologisch bessere Technologien zu nutzen. Der Süden der Welt könnte in eine neue Weltordnung eingebunden werden. Er braucht aber selbst Unterstützung, nicht nur von China, das seine Rohstoffe will und ihn in die Verschuldung treibt, sondern auch von Europa.

In reichen Ländern sinkt die Armut, in Entwicklungs- und Schwellenländern wird das Absinken durch jedes neue Problem abgebremst, dies gilt für die Covid-Pandemie, für neue interne und externe Konflikte, viele politische Umbrüche.

Mehr Armut in Lateinamerika

In Lateinamerika ist die Armut größer als vor der Covid-Krise. Hier spiele eine Unterbrechung der Ausbildung eine Rolle, virtueller Unterricht war schwierig, besonders dort, wo Ausbildung der wichtigste Weg aus der Armut wäre. Eine dauerhafte stabile Politik und Hilfe durch internationale Organisationen wären wichtig. Der Linksruck in vielen Ländern Lateinamerikas könnte da helfen; eine Politik mit koordinierten Zielen scheint möglich.

In Afrika stieg die extreme Armut – definiert mit Einkommen unter 1,9 Dollar am Tag – weit über die bisherigen 34 Prozent. Sie liegt in Subsahara-Afrika am höchsten. Hilfen wären eine Reduktion der Konzentration auf Landwirtschaft und Rohstoffe, Industriebetriebe zahlen mehr und helfen oft bei Ausbildung. Eine Reduktion der Kinderzahl oder Auswanderung nach Europa würde auch helfen, der Krieg in der Ukraine reduziert Nahrungsmittel ebenso wie die Klimaerwärmung. Afrika strebt richtigerweise zu eigenständigen Lösungen, doch müssen Schäden durch die Kolonialzeit und durch die Erderwärmung von reichen Ländern abgedeckt werden. Hier hat Europa große Schuld und auch große Chancen, gemeinsam Technologien zur Eindämmung zu entwickeln. Eine Green Industrial Policy braucht Afrika als Partner, hier sind Technologien bei großer Hitze verfügbar.  Eine neue Weltordnung kann nur mit einem selbstbewussten und starken Afrika entstehen.

Was können wir lernen?

Die Kriege treffen uns unvorbereitet. Sie sind aber auch ein wenig von uns mitverursacht. Weil wir zu wenig daran gedacht haben, dass im Osten ein Aggressor steht und ein unbefriedigtes Palästina immer wieder zu Terror führen kann. Europa wäre stärker, würde es wieder mehr vorandenken. Nicht, weil wir alles besser wissen, sondern, weil wir selbst viele Fehler gemacht haben. Wir müssen über Frieden und Kriegsursachen sprechen, auch schon in den Schulen und in den sozialen Medien. Hoffentlich sind wir da innovativ im Sinne der „schöpferischen Zerstörung“ von Schumpeter: Sie „zerstört“ alte Fehler  und fördert neue Lösungen.

APA/Hochmuth

Zur Person

 Karl Aiginger ­(*1948) ist Direktor der Europaplattform Wien–Brüssel und lehrt an der WU-Wien. Forschungs- und Lehrtätigkeit auch in Stanford, MIT, UCLA, Linz und Hunan-Universität (China). Aiginger leitete bis 2016 das Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.