Kritik

Schauspielhaus Graz: Leonce und Lena suchen vergeblich nach Balance

Kids, die vor allem auf Work-Life-Balance aus sind: Otiti Engelhardt und Dominik Puhl.
Kids, die vor allem auf Work-Life-Balance aus sind: Otiti Engelhardt und Dominik Puhl.Lex Karelly
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Rebekka Davids Um- und Überschreibung von Georg Büchners Komödie schüttet deren unerträgliche Leichtigkeit des Müßiggangs mit Zeitgeistigem zu. Das lässt bald Langeweile aufkommen.

In schöner Symmetrie steht ein in Rottönen gefärbter Guckkasten auf der Bühne des Schauspielhauses Graz. Ein Barwägelchen und herabhängende Plastikbänder trennen ihn in zwei Bereiche, in denen jeweils eine mit Samt gepolsterte Sitzbank wie aus imperialer Zeit steht. Die beiden Wartezimmer müssen die winzigen Königreiche Popo und Pipi sein, aus Georg Büchners einziger Komödie. In ihr hat er die damalige Adelsgesellschaft und das Bürgertum, Klassik und Romantik, Philosophie und Afterphilosophie herrlich karikiert.

Verfasst wurde das Stück vom verfolgten Autor im wilden Vormärz, für ein Preisausschreiben. Er versäumte die Einsendefrist. Was für eine reale Tragikomödie! „Leonce und Lena“ wurde 1895 uraufgeführt. Der Dichter war 1837 mit 23 gestorben. Armes Deutschland! Da wird, was dort ohnehin rar ist, eine luftige, bittere, böse, allerbeste Komödie geschrieben, und dann ignorieren sie der verkommene Adel, die biederen Bürger und die armen Leute jahrzehntelang

Der Prinz im rosa Rüschenkleid

Jetzt aber Graz! Schon sind zwei Darsteller auf der Bühne. Noch scheinen sie nichts voneinander zu wissen, agieren in Paralleluniversen. Links, offenbar in Pipi, gibt Otiti Engelhardt, mit Halskrause und chic gekleidet, animalische Geräusche von sich. Briefverkehr findet statt. Rechts, offenbar in Popo, sitzt Dominik Puhl im rosa Rüschenkleid. Er lacht schrill. Er sagt, er schreit, er brüllt: „Leonce!“ Aber spielt er ihn nicht selbst? Warum ruft dieses Transwesen nach dem Prinzen? Hat er sich ins falsche Stück verirrt? Anfangs müsste er doch mit dem Hofmeister über den Müßiggang parlieren, dann nach allerlei Getändel mit Taugenichts Valerio (Mario Lopatta) gen Italien aufbrechen. Denn Leonce will sich dem Willen seines Vaters, König Peter (Rudi Widerhofer), widersetzen, dass er Lena heirate, damit die Minireiche vereint werden. Und Lenas Dialog mit ihrer Gouvernante (Annette Holzmann), die ebenfalls widerständig aus demselben Grund nach Italien flüchten wollen, kommt doch erst als vierte Szene. Aber da steht sie schon und übernimmt auch noch Schlüsselsätze anderer Figuren.


Nein, das ist nicht nur das Original. Ein Blick auf den Theaterzettel stellt die Sache klar. Es handelt sich um eine modische Über- und Umschreibung: „Leonce & Lena – Nowhere to Run. Lustspiel von Georg Büchner, Rebekka David & Ensemble“. Auch die Regisseurin und ihr Team haben sich also, quasi als Partner des tollen Dramatikers, an dem Stoff versucht. Das könnte spannend sein. Ist es aber leider über lange Strecken nicht. Viel von Büchners beißendem Spott und unerträglicher Leichtigkeit des Seins geht verloren. Die hinzugefügten Phrasen sind häufig nur hemmende Ergänzungen. Eines der Hauptthemen dieses Autors mit dem Willen zum Umsturz ist der Skandal des Dolcefarniente einer herrschenden Klasse. Die stellte er hochpoetisch gnadenlos bloß. Durch die aktuellen Zusätze aber wird nicht die Fadesse dieser Leute lächerlich gemacht, sondern es breitet sich tatsächlich Langweile aus. Die rund 105 pausenlosen Minuten ziehen sich. Das ist furchtbar für eine Komödie, die besonders zeitkritisch sein will. Ein noch immer höchst lebendiges Stück muss man eben nicht unbedingt verkrampft mit allerlei postdramatischen Zusätzen zuschütten.

Kommen wir aber zum Positiven. Die Kostüme sind eklektisch chic, die Bühnenbilder lassen staunen, auch wenn sich ihr Symbolwert kaum erschließt: Da wachsen Bäume nicht in den Himmel, sondern hängen von oben herab. Da rollt der Guckkasten nach hinten, damit auf freier Fläche ein Fußballmatch stattfinden kann. Vielleicht bedeutet das: Sie wollen nur spielen, während an der Rampe der König im wirren Monolog um Aufmerksamkeit heischt. Da fährt ein Podium hoch, groß wie ein Saal, vielleicht, damit der anarchische Valerio mit aller Macht beweisen kann, wie das Untere nach oben gekehrt wird. Aus dem Unterboden taucht ein Obst- und Gemüsestand auf. Endlich in Italien! Die Titelfiguren, die zufällig zueinander gefunden haben, stopfen Stück für Stück Nahrung in sich hinein. Eine beachtliche Leistung. Äußerlich tut sich einiges, um dieses „Nowhere to Run“ am Laufen zu halten.

Talentiertes Ensemble

Die Darsteller sind durchwegs zu loben. Das Ensemble der neuen Intendanz in Graz besitzt ein hohes Maß an Talent und Können. Widerhofer gibt mit seinen bewährten Schnurren einen halb debilen König, der sein Unternehmen mit Müdigkeit im Blick endlich an die Jüngeren abgeben will. Die aber sind richtig zeitgeistig. Engelhardt und Puhl imitieren glaubhaft im Wohlstand gesättigte Kids, die vor allem auf Work-Life-Balance aus sind. Wahrscheinlich verachten sie alle Boomer. Bereits zu Beginn deuten sie dem Publikum an, dass sie eigentlich gar keinen Bock aufs Schauspielen haben. Lopatta versteht es, Valerio als Mann mit zwei Gesichtern zu zeigen. Der ist nicht nur ein Spaßmacher, er hat auch das Zeug zum Populisten. Schnörkellos, exakt und gerade deshalb ausgezeichnet erfüllt Holzmann die Rolle der Untergebenen mit Leben. Am Ende gibt es einen Gastauftritt der Souffleuse. Frische Arbeitskräfte brauchen die Märkte der fusionierten Länder. Elisabeth Wondrack spielt die Neue rührend ungelenk. Gut gemeint. Mehr nicht.    

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