Kunst

Anselm Kiefer in der Wiener Staatsoper: Ein Ozean als Feuerschutz

Anselm Kiefer geht nach der Präsentation seiner Überblendung des Eisernen Vorhangs namens „Solaris“ von der Staatsopern-Bühne ab.
Anselm Kiefer geht nach der Präsentation seiner Überblendung des Eisernen Vorhangs namens „Solaris“ von der Staatsopern-Bühne ab.APA/APA/Roland Schlager
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Ist mit dem neuen temporären Eisernen Vorhang ein Coup gelungen? Ja, er ist von Anselm Kiefer, mittlerweile Popstar der Kunst. Nein, es fehlt seine Sinnlichkeit. Die Idee aber ist genial und bezieht sich auf Stanisław Lems „Solaris“.

Dunkel wurde es Mittwochmittag im Zuschauerraum der Wiener Staatsoper. Aus der Proszeniumsloge erschallte eine Fanfare von Karl Pilß. Geschätzte 700 Besucher, darunter das halbe Wiener Kunst-Establishment, konnten fast nicht anders, als den Atem anzuhalten, eindeutig ein Rekord für die Präsentation des jährlich wechselnden Eisernen-Vorhang-Projekts.

Die Show, die Staatsoperndirektor Bogdan Roščić aus diesem einstigen netten Pressetermin gemacht hat, ist jedenfalls beachtlich. Und dient vielleicht weniger dem Verständnis (Fragen sind nicht mehr vorgesehen), dafür sicher dem Ansehen des künstlerisch interessantesten, inhaltlich zwingendsten und international eindeutig renommiertesten Kunstprojekts Österreichs im (halb-)öffentlichen Raum – der zeitgenössischen Überblendung der alten Brandschutzwand, die 1955 nach einem undurchsichtigen Auswahlprozess von Hermann Eisenmenger (1902–1994) gestaltet wurde. Der Maler hatte eine nicht untypische Wiener Karriere hinter sich, vom in der NS-Zeit ideologisch glühenden Künstlerhauspräsidenten, der sogar einen Rüstungsbetrieb im Ausstellungshaus einrichten ließ, zum mehrfach ausgezeichneten Staatskünstler.

Seit 1998 wird sein Orpheus-und-Eurydike-Sujet für die Oper – schau niemals zurück, scheint wohl Eisenmengers Lebensmotto gewesen zu sein – vom Verein „Museum in Progress“ aber medienwirksam als „Ausstellungsfläche“ genutzt. Diesmal gelang der internationalen Jury ein besonderer Coup, man gewann Anselm Kiefer, den deutschen Gesamtkünstler, an dem momentan niemand vorbeikann. Im Kino läuft gerade ein wundervoller 3-D-Film über ihn von Wim Wenders, der sich vor dem Pathos dieser wuchtigen Mythen- und Materialexzesse erfrischend wenig fürchtet. Auch den Palazzo Ducale in Venedig, die riesige Halle des Palais Éphémère in Paris sowie das Pantheon ebendort hat Anselm Kiefer zuletzt mit seiner höchst eigenen poetischen Wucht, seiner Ikonografie aus Historie, Spiritualität, Literatur (Celan, Bachmann, Velimir Chlebnikov, die Bibel etc.) sowie tonnenweise Farbe, Lehm, Blei, Stroh, Leitern, Booten, Trockenblumen und Kinderkleidchen überzogen.

Ein weltenverschlingender Ozean

Nichts von alledem jetzt beim Staatsopernvorhang. Nur ein Abziehbild dieser ganzen heftigen Materialsinnlichkeit war hier aus technischen Gründen möglich. Auch stören die diesmal besonders sichtbaren Lötstellen zwischen den zusammengefügten Folien die Raumillusion. So weit zur Enttäuschung. Sonst meisterte Kiefer die elementare Idee einer eisernen Feuerschutzwand gewohnt genial, inhaltlich wie ästhetisch: mit einem ganzen Ozean. Diente als Vorlage doch eines seiner jüngeren Großformate, benannt nach Stanisław Lems Sci-Fi-Roman „Solaris“ (1961). In dystopischer Manier ist hier das dort beschriebene hochintelligente Meer abgebildet, das Astronauten auf einem Exoplaneten entdecken und das sie mit den eigenen Träumen und Ängsten konfrontiert.

Es ist Schriftsteller Christoph Ransmayr, der zum Vorhang einen Text verfasste, dem hier der letzte Satz gebührt, mitgegeben allen frühen Opernbesuchern, die Kiefers „Eisernem“ Meer tatsächlich ausgesetzt sein werden: „Und dieser Welten verschlingende und wieder ausspeiende Ozean, der in seiner Ungeheuerlichkeit und Allwissenheit die Gesamtheit der menschlichen Möglichkeiten nachzuäffen und sich an alles zu erinnern vermag, rollt nun in langgezogenen Brechern aus Kiefers Gemälde auf das in dunklen Reihen ein bloßes Singspiel erwartende Publikum zu.“

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