Gastbeitrag

Ruth Maiers einst ersehnte Zukunft

Neue Erkenntnisse und Hintergründe zur Deportation und Er­mordung der jungen Wiener Schriftstellerin.

Ruth Maier (geboren am 10. November 1920 in Wien, gestorben am 1. Dezember 1942 in Auschwitz) war eine österreichische Schriftstellerin jüdischer Herkunft. In Wien geboren, flüchtete sie, einige Monate nach dem „Anschluss“ Österreichs, im Januar des Jahres 1939 zu Bekannten der Familie nach Lillestrøm, einer Kleinstadt nahe Oslo.

Doch das Diabolische sollte sie einholen, als Norwegen 1940 von der deutschen Wehrmacht besetzt wurde. Da ihr Visum für England bereits abgelaufen war und es auch nicht erneuert wurde, blieb sie in Norwegen. Die junge Wienerin wurde in dem Mädcheninternat in Oslo, in dem sie im Herbst 1942 vorübergehend lebte, verhaftet. Mit weiteren 528 Jüdinnen und Juden begann ihre Deportation im Osloer Hafen, ausgerechnet an Bord eines Schiffes namens Donau.

Nach einer sechstätiger Deportationstortur kam sie im NS-Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau an, wo sie unmittelbar nach ihrer Ankunft, am Abend des 1. Dezember 1942, ermordet wurde.

Literarische Prägung in ihrem Elternhaus

Ruth Maier wurde vor allem durch die Veröffentlichung ihrer Tagebücher bekannt, weshalb sie auch Anne Frank Norwegens genannt wird. Die erst 2007 veröffentlichten Aufzeichnungen umfassen den Zeitraum von 1933 bis 1942.

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Ihr Elternhaus kann für die heranwachsende Ruth als literarisch animierend beschrieben werden. Recherchen der Historiker von Memory Gaps förderten zutage, dass ihr Vater Philologe gewesen war. Ludwig Maier hatte Romanische Philologie studiert und 1914 an der Universität Wien mit einer – in Handschrift verfassten – Dissertation zum Thema des französischen Romans promoviert. Aus dem ehemaligen Mähren stammend, sprach er nicht nur fließend Deutsch, Tschechisch, Englisch, Französisch und Italienisch, sondern auch Griechisch und sogar Türkisch, stand er doch ab 1899 in Diensten der k. k. Post der Habsburgermonarchie und war für diese auch in der Türkei tätig. 1919 zählte er zu den Gründern der österreichischen Postgewerkschaft und war Generalsekretär der gewerkschaftlichen Post-Inter­nationale.

Die väterliche Sprachbegabung, gepaart mit hohem politischen und literarischen Interesse, ging auf seine Tochter Ruth über. Nicht nur ihr Schreibtalent, sondern auch die Tatsache, dass sie nach ihrer Flucht rasch Norwegisch gelernt, in Norwegen die Schule besucht und – wie ihrem letzten Tagebuch aus dem Jahr 1941/42 zu entnehmen ist – bereits in gutem Norwegisch geschrieben hat, zeugen davon.

In den letzten zehn Jahren ihres viel zu kurzen Lebens führte Ruth Maier regelmäßig Tagebuch. Der inhaltliche Bogen reichte von ihrem sozial engagierten, intellektuellen Elternhaus bis zu den erschütternden Erfahrungen mit dem immer stärker werdenden Nationalsozialismus. Die Flucht nach Norwegen, der Zweite Weltkrieg und die ausschließlich durch ihre Gefährtin, Gunvor Hofmo, abgemilderte unerträgliche Einsamkeit in Norwegen zählten zu den lebensbestimmenden Einflussfaktoren für die junge Künstlerin.

Ruth-Maier-Hof in Wien?

Anfang der 1930er-Jahre lebte Ruth Maier mit ihren Eltern und ihrer Schwester in einer damals neu errichteten Wohnhausanlage in Wien Währing. Die Stadt Wien könnte diesen heute nach Rudolf Sigmund benannten Hof nach Ruth Maier benennen. Als Restitution jener einst ersehnten Zukunft, die sie in dieser ihrer Stadt mitgestalten wollte.

Dominik Schmidt ist zuständig für Presse und Organisation der Kunstinitiative des Gedenkens „Memory Gaps – Erinnerungslücken“ der Malerin Konstanze Sailer.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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