Buch Wien

Olga Martynova in Wien: „Trauernde verstehen einander“

Russlands „kolossale Tragödie“ macht ihre Vermittlerrolle nur noch wichtiger: Olga Martynova.
Russlands „kolossale Tragödie“ macht ihre Vermittlerrolle nur noch wichtiger: Olga Martynova.APA
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Die deutsch-russische Autorin Olga Martynova verlor nach 37 Jahren ihren Mann, den Lyriker Oleg Jurjew, und stellt nun ein bewegendes Buch über die Trauer in Wien vor: Interview über ein unerreichbares Grab, russische Freunde am Rand des Suizids und das Wunder, trotzdem „etwas Vernünftiges zu tun“.

In Sankt Petersburg, das damals noch Leningrad hieß, sind sie beide aufgewachsen, nach Deutschland kamen sie kurz vor dem endgültigen Zusammenbruch der Sowjetunion, und dort blieben sie auch, Autorin und Autor, lebten 37 Jahre lang zusammen, schrieben und übersetzten beide, auf Deutsch, auf Russisch: bis Oleg Jurjew im Alter von 58 Jahren starb.

Fünf Jahre ist das her, und Olga Martynova hat in dieser Zeit ein Buch über die Trauer geschrieben. Ein Buch voller Poesie (auch buchstäblich durch integrierte Gedichte ihres verstorbenen Mannes), berührend mal mehr auf stark schmerzhafte, mal mehr auf tröstliche Weise. „Gespräch über die Trauer“ ist tatsächlich in einiger Hinsicht ein Gespräch: nicht nur, weil darin ein Austausch mit anderen berühmten Trauernden stattfindet, die ihr Trauern im Schreiben reflektierten (von Novalis über Joan Didion bis zu Julian Barnes), sondern auch, weil es zum Gespräch einlädt.

„Das eigentliche Ende meines Lebens“

„Ich hatte selbst ein tiefes Bedürfnis zu wissen, wie andere mit der Trauer umgehen“, sagt Martynova. „Während des Schreibens habe ich mich wie in einer Gemeinschaft mit anderen Trauernden gefühlt, wie in einem geschützten Raum. Das war ein besonderer Zustand.“ Bei einer Lesung sei vor kurzem eine Frau zu ihr gekommen, erzählt sie, „die wollte, dass ich ihr eine Widmung schreibe, und sie hat mir ein Datum genannt, das ich hineinschreiben soll. Das war der Sterbetag ihres Mannes. Sie hat geweint und ich habe mitgeweint, es war aber keine schlimme Erfahrung, im Gegenteil. Wir haben einander in diesem Moment verstanden.“ Denn „Menschen, die wissen, was so ein Verlust bedeutet, verstehen einander und erkennen einander. Und erkennen einander an“, schreibt Martynova im Buch. Und mit „so einem Verlust“ meint sie einen Verlust, der so stark sei, dass er „mein weiteres Leben bestimmt und das eigentliche Ende meines Lebens ist“.

In ihrem preisgekrönten Buch „Das Jahr magischen Denkens“ schrieb die US-amerikanische Autorin Joan Didion über die Monate nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes. „Ich weiß, dass, wenn wir selbst leben wollen, irgendwann der Punkt kommt, an dem wir die Toten auslöschen müssen, sie gehen lassen, sie tot sein lassen müssen“, heißt es darin. Olga MartynovaI kann diese Sicht nicht teilen. „Menschen sind verschieden, das ist nicht mein Weg“, sagt sie. „Ich glaube, in der akuten Phase der Trauer sind alle gleich. Aber dann kommt man an einen Punkt, da hat man eine Wahl, man kann sich eher von den Toten verabschieden oder es nicht tun.“ Martynova will die Trauer nicht überwinden. Sie will lernen, mit ihr zu leben.

Martynova schreibt auf Deutsch, doch ihre Gedichte schrieb sie früher auf Russisch, wie ihr Mann. Damit sei es vorbei, sagt sie. „Es hat mit Olegs Tod seinen Sinn für mich verloren, Gedichte auf Russisch zu schreiben. Aber durch die kolossale Tragödie, in der sich Russland jetzt befindet, ist mir die Vermittleraufgabe zwischen deutscher und russischer Kultur, in der ich mich in den letzten 30 Jahren gesehen habe, noch wichtiger geworden.“ An Russland vermisse sie heute „das Grab meines Mannes in Sankt Petersburg, zu dem ich nicht fahren kann, und einige Menschen, die nicht von dort wegkönnen, mit denen ich mitfühle.“ Wie erlebt sie deren Umgang mit einem sich immer länger hinziehenden untragbaren Zustand?

Verzweifelte Freunde in Russland

„Die Menschen, mit denen ich in Kontakt stehe, erlebe ich manchmal an der Grenze zum Suizid. Da ist viel Schwermut und Verzweiflung. Ist man erst einmal mitten in der Diktatur, hat man nur noch wenig Möglichkeiten, etwas dagegen zu machen. Eigentlich ist es ein Wunder, dass Menschen trotzdem etwas Vernünftiges tun, sich mit Kultur beschäftigen, mit der Erziehung von Kindern. Gerade das ist so wichtig. Keine Diktatur währt ewig, man darf von diesen Dingen nicht ablassen.“ Sagt Martynova über ein Land, in dem viele Menschen jetzt lernen müssen, was sie lernen musste: mit den Toten zu leben.

Am Freitag, 10.11., um 19 Uhr stellt Olga Martynova ihr Buch „Gespräch über die Trauer“ im Rahmen der noch bis Sonntag dauernden Buch Wien vor: Gespräch und Lesung im Literaturhaus Wien (1070, Zieglergasse 26a), Eintritt frei. Das Buch ist bei S. Fischer erschienen (302 S., 26,50 €).

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